Kat Zhang: Die Verbotene – Twin Souls 1 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 11. Juni 2013 10:31

Kat Zhang
Die Verbotene
Twin Souls 1
(What’s left of me: The Hybrid Chronicles, 2012)
Aus dem Amerikanischen von Katrin Weingran
Titelgestaltung unter Verwendung eines Fotos von Maxime Quoilin
cbt, 2013, Taschenbuch, 446 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-3-570-30858-5 (auch als eBook erhältlich)
Von Irene Salzmann
Wie alle Menschen wurde Addie mit einer zweiten Seele – Eva – geboren. Doch anders als die meisten rezessiven Seelen verschwand Eva trotz zahlreicher Therapien und Medikationen nicht während der Kindheit. Die dominante Addie wurde mit 12 für geheilt erklärt, und niemand außer ihr weiß, dass Eva immer noch in einem Winkel ihres Selbst existiert.
Nach all diesem Unbill wagt die Familie einen Neuanfang in einer anderen Stadt. Addie/Eva sind nun 15 Jahre alt und bemühen sich, nicht aufzufallen, damit keiner Fragen stellt und dem Geheimnis auf die Spur kommt. Doch dann sucht ausgerechnet ihre Mitschülerin Hally, die unverkennbar fremdländische Wurzeln hat und darum ein Außenseiter ist, nach ihrer Freundschaft. Als Addie/Eva notgedrungen das Mädchen daheim besuchen, lernen sie ihren Bruder Devon kennen – und erfahren, dass sie durchschaut wurden, aber unter Freunden sind: Hally teilt sich den Körper mit Lissa, Devon mit Ryan.
Addie will das gar nicht wissen und lieber ‚normal‘ sein, geht dann aber doch auf Evas Bitte ein, die die anderen Hybriden näher kennenlernen möchte. Nach etlichen Treffen und unter der Einnahme eines Medikaments beginnt Eva, allmählich wieder ein wenig Kontrolle über den gemeinsamen Körper zu gewinnen. Durch einen unglücklichen Zufall werden die Behörden auf die Teenager aufmerksam. Hally, Devon und Addie werden in eine Klinik gebracht, wo man ihnen helfen will, die rezessive Seele loszuwerden – zu ihrem eigenen Wohl und dem des ganzen Volkes. Weder sie noch die anderen Kinder wollen den Versprechen der Ärzte und Beamten glauben, die Druck auf die betroffenen Familien ausüben, die Patienten rund um die Uhr bewachen, sie durch Tricks dazu bringen, sich als Hybride zu outen, sie mit Hilfe von Medikamenten manipulieren und, und, und …
„Die Verbotene“, der erste Band der „Twin Souls“-Trilogie, zieht den Leser von Anfang an in den Bann, obwohl es kaum Action-Szenen, romantische Entwicklungen oder sonstige ‚Reißer‘ gibt. Eigentlich ist das Buch eher langatmig, denn auf rund 450 Seiten entfalten sich detailliert die Geschehnisse von etwa einem Monat, leicht gerafft auf die wesentlichen Tage, an denen Addie/Eva die anderen Hybriden und das gefängnisähnliche Leben in der Klinik kennenlernt. Und doch kann man sich den eindringlichen Schilderungen – aus Evas Sicht (der Autorin unterlaufen bloß ausnahmsweise wir-ich-Fehler) – nicht entziehen.
Man hat den Eindruck, eine Allegorie zu lesen: Die Americanas sind ein totalitäres Regime, das seine Bevölkerung belügt und alles auszumerzen versucht, das ‚anders‘ ist, in dem Fall die Hybriden. Die gelegentlich erwähnten Gräuel, über die in Museen und Schulen ausführlich informiert wird und die den Hybriden angelastet werden, sind einseitig genug, dass man sie sofort als Propaganda entlarvt. Die meisten Bewohner des Landes glauben jedoch den Behauptungen oder haben zu große Angst vor den Konsequenzen, um Zweifel zu äußern. Folglich haben die Machthaber (wer denkt jetzt nicht an die vielen idealistischen Bürger der ehemaligen DDR, der SU, der VRCh, aktuell an die der fundamentalistisch-islamischen Länder und Nord-Korea, aber auch an die sogenannten demokratischen Nationen, deren Politiker selbstherrlich am Willen des Volkes vorbei Entscheidungen treffen, darunter die USA, Deutschland, die Türkei und so weiter?) leichtes Spiel, denn niemand setzt sich für die Rechte der Hybriden ein, wenn sie entdeckt werden und die Behörden sie verschwinden lassen. Jeder will ins System passen und keine Repressalien erleiden, so dass sich sogar Familien aus Selbstschutz und aufgrund des geschickt geschürten Hasses auf Hybriden von ‚kranken‘ Mitgliedern abwenden. Auch Addies/Evas jüngerer Bruder Lyle, der an einer Nierenkrankheit leidet, wird gegen sie eingesetzt: sein Leben gegen die Freiheit von Addie/Eva. Die Eltern verzweifeln und geben nach. Das Schicksal von Addie/Eva scheint damit besiegelt. Aber die Mädchen geben nicht auf, schon gar nicht Eva, die (über-) leben will. Und sie sind nicht allein. Doch haben sie auch das notwendige Quäntchen Glück, rechtzeitig vor einer grausamen Operation der Klinik zu entkommen und unterzutauchen?
Addie und Eva. Adam und Eva. Sie sind freilich nicht die ersten Hybriden, wohl aber eine treibende Kraft, die etwas zu verändern versucht. Auch die anderen Namen könnten eine symbolische Bedeutung haben, doch entzieht sie sich dem Leser, dessen Muttersprache nicht Englisch ist. Und genauso, wie die biblische Eva den Apfel vom Baum der Erkenntnis pflückte, bricht ihre Namensvetterin Regeln, tut Verbotenes und erkennt, was tatsächlich geschieht – wie die Regierung die Menschen seit Jahren täuscht und schwerste Verbrechen begeht.
In dem vorliegenden Roman lernt man eine Welt kennen, die der unseren sehr ähnlich ist. Allerdings werden ihre Bewohner mit zwei Seelen geboren, von denen eine nach einiger Zeit ganz von selbst verschwindet. Wer ein Hybride bleibt, gilt als krank. Es heißt, er bringe Unheil über sich, sein Volk, sein Land; nur wer die rezessive Seele verliert, ist ein ‚normaler‘ und ‚guter‘ Bürger der Americanas. Alle anderen Länder wurden von den Hybriden mehr oder weniger vernichtet. Damit so etwas nicht wieder geschieht, werden Menschen, die zwei Seelen in sich tragen, verfolgt, weggesperrt, ihres zweiten Ichs gewaltsam beraubt und Schlimmeres.
Das traurige Schicksal der Betroffenen wird von den Hauptfiguren nach und nach enthüllt. Man fühlt sich an den gar nicht so lange zurückliegenden, menschenunwürdigen Alltag in Psychiatrie-Kliniken, an die Gehirnwäsche und die die Übergriffe in totalitären Staaten gegenüber Andersdenkenden erinnert. Wer erst einmal in dieser Maschinerie drin ist, hat keine Chance mehr, ihr zu entkommen. Und doch geben einige nicht auf, suchen nach Antworten auf ihre drängenden Fragen – warum das alles? – und einem Weg in die Freiheit. Das zu verfolgen, ist äußerst spannend und wird eindringlich erzählt, wenngleich man manchmal findet, dass die Kinder/Jugendlichen etwas zu mutig, zu glücklich/zu erwachsen agieren gegenüber skrupellosen Personen, deren Motive nicht immer klar werden.
Die Schilderungen sind überzeugend. Jeder kann sich vorstellen, dass ihm Ähnliches passieren könnte, wenn er gegen sogenannte Normen/Gesetze verstößt, die von den Behörden nach Gusto ausgelegt werden können. Bereits jetzt wird die Demokratie vielfach untergraben (Beispiel München: das Festhalten der Flugplatzbetreiber und der bayerischen Regierung am Bau der dritten Startbahn trotz Volksentscheid), und immer öfter entscheiden Staatsoberhäupter autokratisch (die Versprechen einzelner führender Politiker, die von den Parteien nicht getragen werden, vor den anstehenden Wahlen, um das Stimmvieh für sich zu gewinnen).
Die jungen Leser werden das alles kaum in die Lektüre hinein interpretieren. Auch dürfte die Autorin in erster Linie bloß amerikanische Probleme anprangern wollen. Doch was für die einen gilt, kann man oft auch auf andere ummünzen.
SF-Fans ab 13 Jahre werden den Unterhaltungsfaktor suchen und vielleicht etwas zu wenig Action und Romantik vorfinden. Das reifere Publikum ab 16 Jahre wird die Anspielungen auf gegebene Problematiken erkennen und viel Diskussionsmaterial erhalten. Dadurch wird der Titel zur interessanten und kurzweiligen Schullektüre, die man ab der 9. Klasse ins Auge fassen kann.