Bahl, Lucas: Der Geruch der Angst – Neo-Delphi.com 1 (Buch)

Lucas Bahl
Der Geruch der Angst
Neo-Delphi.com 1
Titelillustration von Dominik Pirmer
Wittich, 2009, Taschenbuch, 430 Seiten, 14,80 EUR, ISBN 978-3-9810906-0-4

Von Carsten Kuhr

Magaly Leslie ist eigentlich ein ganz normales Mädchen. In der 10. hat sie eine Ehrenrunde eingelegt, privat steht sie, der viel zu bürgerlichen Ausprägung ihrer ländlichen Herkunft trotzend, eher auf die Gothic-Szene. Mit ihrer besten Freundin Evelynn verbindet sie ihr Hang zur Kryptologie. Als Computer-Freak hat sie sich am Kodieren und Entschlüsseln von Nachrichten festgebissen, ja ist zu einer der besten Hackerinnen auf diesem Gebiet avanciert.
Seit Jahren schon suchen Hacker aus der ganzen Welt die bestgeschützte Domain zu knacken. Auf Neo-Delphi.com, so die Gerüchte, erhalten die Passwortinhaber todsichere Voraussagen. Nur die Reichsten und Mächtigsten sind in diesem exklusiven Club Mitglied, auf dass sie noch vermögender und einflussreicher werden.

Schon während der Suche aber geraten die Mädchen und ihr schwerkranker Freund in Gefahr. Magaly und ihre Freundin werden von Satansjüngern entführt und gefoltert. Steckt etwa Neo-Delphi.com hinter dem Kidnapping?
Mit einem Hexensabbat soll der Teufel höchstselbst beschworen werden. Und wirklich, eine unbekannte Macht, eine Feuersäule, manifestiert sich und hält reichhaltige Ernte unter den Anhängern Luzifers.
Kaum die traumatischen Ereignisse überstanden, wird ihr Freund von Unbekannten entführt. Die Hinweise deuten auf einen Multikonzern. Ehemalige Mitarbeiter des Pharmaunternehmens wandeln auf Mengeles Spuren und forschen nach der Unsterblichkeit. Dass sie dabei über Leichen zu gehen bereit sind, dass Massenmord als legitimes Mittel zur Lebensverlängerung angesehen wird, müssen unsere Detektive am eigenen Leib schmerzlich erfahren. Auch hier gibt es Hinweise auf Drahtzieher aus dem Neo-Delphi.com-Umfeld.
Wer nur steckt hinter der Domain, und was wollen die Strippenzieher erreichen? Als Magaly durch Zufall ein Schlupfloch zu Neo-Delphi.com findet, hofft sie endlich weiterzukommen, doch das Passwort, versetzt sie körperlich ins Frankreich der französischen Revolution ...

Lucas Bahl ist dem Freund der phantastischen Literatur in erster Linie durch seine Mitarbeit bei der Bastei-Heftserie »Sternenfaust« ein Begriff. Unter seinem Namen Achim Schnurrer schreibt er daneben insbesondere für das Periodikum »phantastisch!« fundierte und interessante Artikel über die utopisch-phantastischen Autoren des 19. Jahrhunderts.
Mit vorliegendem Werk, einmal mehr dem Auftakt einer Trilogie, betritt er Neuland. Ein ungewöhnlicher Genremix erwartet hier den Leser. Cyberpunk mischt sich mit Verschwörungsthriller, Zeitreise mit historischem Roman.

Geschickt nutzt Bahl dabei bekannte Gestalten, wie etwa den Grafen Cagliostro oder den Forscher Aleister Crowley, um seiner Handlung rund um die Jagd nach den mysteriösen Hintermännern der Domain mit einer geschichtlichen Ebene zu versehen.
Selbige ist interessant ausgestaltet. Mitten in den Wirren der französischen Revolution angesiedelt, widerfährt unserer Heldin hier so manches Unheil. So wird sie ins Gefängnis gesteckt, ist bei einem Duell anwesend und wird von den wackeren Soldaten im Auftrag der Bürger gejagt.
Auch wenn diese Passagen nur relativ wenig Raum einnehmen, üben sie doch einen besonderen Reiz auf den Leser aus. Mit einigen wenigen Sätzen, Pinselstrichen gleich, gelingt es Bahl hier nicht nur Atmosphäre zu schaffen, sondern seinen Lesern auch das glaubhafte Bild einer Zeit des Umbruchs zu vermitteln. Gespickt mit faszinierenden, geheimnisvollen Gestalten und dem Flair einer untergehenden Monarchie zieht uns diese Schilderung in ihren Bann.

Die in der Jetztzeit angesiedelten Kapitel bieten ein ganz anderes Bild. Hier berichtet Bahl uns von zwei Jugendlichen, die so rebellisch sie sich äußerlich auch geben, doch im Grunde nur den ganz normalen Prozess der Loslösung vom Elternhaus, das Erwachsenwerden, durchlaufen. Dass sie versuchen, sich gegenüber ihren spießigen Eltern abzugrenzen ist normal, was sie allerdings dann in der Folgezeit erleben, die Teufelsanrufung, der Missbrauch, ihre Gefangennahme, zeigt, dass sie blauäugig und naiv agiert haben. Kein Wunder, dass sie aggressiv versuchen die Flucht nach vorne anzutreten, dass sie aus ihrer Freundschaft nicht nur Kraft, sondern auch die Verpflichtung ableiten, sich auch unter persönlichen Opfern gegenseitig zu helfen.
Wenngleich insbesondere Magaly unerwartet unberührt von den auf sie einstürzenden Geschehnissen bleibt, rast die Handlung hier förmlich in bester Action-Manier voran.

Stilistisch präsentiert sich das Buch unauffällig, wobei festzustellen ist, dass der Autor seinen temporeichen Plot ganz eindeutig über die Charakterzeichnung seiner Personen stellt. Die Wechsel der Vergangenheitsszenen mit den Kapiteln, die in der Jetztzeit angesiedelt sind, ist ein wenig abrupt ausgefallen, und nach wie vor bleibt Vieles, fast ein wenig zu viel, im Dunkel. Nichtsdestotrotz liest sich das Buch rasant auf einen Rutsch durch, bietet spannende, actionreiche Handlung kombiniert mit einem faszinierenden Rätsel, so dass die Spannungskurve bis zum für Ende nächsten Jahres in Vorbereitung befindlichen nächsten Band hoch bleibt.