Sergej Lukianenko: Weltengänger (Buch)

Sergej Lukianenko
Weltengänger
Aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann
Heyne, 2013, Taschenbuch,590 Seiten, 9,99 Euro, ISBN 978-3-453-52955-7 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Die vorliegende Taschenbuchausgabe ist eine Neuauflage des Tradepaperbacks von 2007.

Kirill Maximow ist ein scheinbar ganz normaler Bewohner Moskaus, noch keine 30 Jahre alt, als er eines Tages nach Hause kommt und feststellen muss, dass eine fremde Frau in seiner Wohnung wohnt. Doch nicht nur dies. Die Wohnung wurde dermaßen verändert, wie dies binnen weniger Stunden schlicht unmöglich erscheint.

Auch an seinem Arbeitsplatz erinnert sich niemand mehr an ihn, und als auch nach einigen Tagen seine Freunde und Familie beginnen, ihn zu vergessen, wird Kirill bald klar, dass er quasi aus der Welt herausgefallen ist. Schnell tritt jedoch eine mysteriöse Frau an ihn heran und offenbart ihm, dass er nun eine Art Zöllner zwischen verschiedenen Alternativwelten darstellt. Er bekommt ein eigenes Gebäude zugewiesen, welches erst einmal, neben Moskau, mit einer antiquiert wirkenden Alternativwelt verbunden ist, die einem Jules-Verne-Roman entsprungen scheint.

Zudem erhält Kirill Superkräfte, kann hervorragend kämpfen, erkennt Schmuggler schon auf Anhieb und sein Körper altert weder, noch ist er länger empfindlich gegen Krankheiten. Sogar schwerste Verletzungen heilen wieder, so lange er in der Nähe seines Dimensionstors bleibt, ein alter Wasserturm in Moskau.

Nach und nach entstehen noch drei andere Tore in alternative Welten. Kirill entdeckt jedoch auch, dass es ein großes Geheimnis zwischen den Welten zu geben scheint. Diese Entdeckung bringt sein Leben jedoch in tödliche Gefahr...

„Weltengänger“ ist im ersten Teil ein wunderbares, weil überraschendes, intelligentes und spannungsreiches Buch, welches zu Lesen ein großes Vergnügen bereitet. Die Charaktere, die Atmosphäre und vor allem der kriminalistisch wirkende Spannungsaufbau, bei dem der Protagonist nur häppchenweise hinter die Geheimnisse kommt, fesseln den Leser völlig.

Erst als der Protagonist zum Supermann mutiert, fällt die Qualität der erzählten Geschichte erstmals deutlich ab. Leider ist auch der von Verschwörungstheorien geprägte zweite Teil des Buchs nicht mehr ganz so prickelnd. Vieles wirkt hier fade und abgestanden, manches einfach nur überzogen und unglaubwürdig. Lukianenko gelingt es hier nicht mehr, die hohe Qualität des ersten Teils zu erreichen. Zwar will man als Leser unbedingt wissen, wie die Handlung weitergeht und endet, das ungetrübte Lesevergnügen ist jedoch dahin.

Wo man im ersten Teil noch über Stellen wie auf Seite 315 („...Wird es zu einem Weltkrieg kommen? Kann man Krebs, Aids und Schnupfen heilen? Verfilmt Peter Jackson den Hobbit?“) herzhaft ablachen kann (und heute im Jahre 2013 auch schlauer ist bei der einzigen „wirklich wichtigen“ der hier aufgezählten Fragen), da verleiden arge Klischees wie jenes von der typischen russischen Romaneröffnungen angehender Pseudoliteraten (der Held kämpft gegen seinen durch Alkohol bedingten Kater als typischer Beginn eines russischen Erstlingswerks) doch den Lesegenuss. Noch schlimmer sind nur des Helden Superkräfte, die ihn zu einem völlig unglaubwürdigen Popanz machen. Dies ist äußerst bedauerlich, denn dieser Griff in die Mottenkiste der SF, zurück zur „guten alten Pulp-Ära, zieht das ansonsten gutklassige und einfallsreiche Werk völlig herunter.

Insgesamt ist „Weltengänger“ aber immer noch empfehlenswert und lesbar, zwischenzeitliche literarische Anspielungen, wie bei Lukianenko üblich, bereichern die Freude am Lesen. Auch die bildhafte Sprache des Autors und die stimmigen Atmosphären der Alternativwelten sprechen für den Autor, wenn sich der Leser auch verzweifelt wünscht, viel mehr über die nur oberflächlich beschrieben fremden Alternativen zu unserer Historie zu erfahren. Hier liegt ein eklatantes Manko der Geschichte, die lieber auf niveaulose Action setzt, als auf literarische Qualitäten.

So bleibt „Weltengänger“ gutes Lesefutter, aber leider nicht mehr. Im Vergleich zu „Spektrum“, einem anderen SF-Roman Lukianenkos, der vor diesem Werk auf Deutsch erschienen ist, fällt das vorliegende Werk deutlich ab. Verglichen mit dem, was in deutschen Verlagen üblicherweise als SF erscheint, ist „Weltengänger“ aber immer noch ein lesbarer und durchaus ansprechender Roman (und diesmal auch in handlich lesbarem Format), mit deutlichen Schwächen zwar, aber auch mit evidenten Stärken.