Der Zauberer von Oz (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 15. September 2012 21:58
Eric Shanover
Der Zauberer von Oz
(The wonderful Wizard of Oz 1-8, 2008)
Aus dem Amerikanischen von Bernd Kronsbein
Titelillustration und Zeichnungen von Skottie Young
Panini, 2012, Hardcover, 212 Seiten, 24,95 EUR, ISBN 978-3-86201-281-7
Von Frank Drehmel
Lyman Frank Baums US-amerikanischer Kinderbuch-Klassiker des Jahres 1900, das aufgrund seines ehedem überraschenden Publikumserfolgs eine erkleckliche Anzahl von Fortsetzungen zeitigte, dürfte den meisten Comic-Freunden aufgrund der Oscar-gekrönten Musical-Verfilmung aus dem Jahr 1939 mit Judy Garland in der Rolle der Dorothy ein Begriff sein. Allerdings stellt genau diese Verfilmung, die so viele Rezipienten vor Augen haben, eine zwar geniale und fesselnde Adaption dar, verlässt jedoch in einige Details den Weg der Werktreue und verfremdet dadurch die literarische Vorlage.
Mit Eric Shanover hat sich nun ein Szenarist des Stoffes angenommen, dessen bisheriges Œuvre als Comic- und Kinderbuchautor nicht nur ein fundiertes Wissen um die klassischen Geschichten Baums offenbart, sondern der sich in der vorliegenden Comic-Adaption Werktreue auf die Fahnen geschrieben hat.
Ein Wirbelsturm versetzt die kleine Dorothy und ihren noch kleineren Hund Toto aus der Einsamkeit der endlosen Prärien Kansas' samt Haus in eine wunderliche Welt. Hier heißt man sie mit offenen Armen willkommenen, da ihr Heim bei seiner Landung die böse Hexe des Ostens ins Jenseits beförderte. Dennoch plagt das Heimweh nach Kansas sowie nach Onkel und Tante das kleine Mädchen, sodass ihr die heimischen freundlichen Munchkins und die gute Hexe des Nordens den Rat geben, zur Smaragdstadt zu reisen, wo der mächtigste Zauberer der Welt, der große Oz, seine Residenz hat. Nur hier werde sie die Hilfe finden, die ihr die Rückreise ermöglicht.
Also macht sich Dorothy in Begleitung Totos auf die lange Reise durch ein Land voller Gefahren und Wunder. Es dauert nicht lange, bis sich ihr seltsame Begleiter anschließen, Begleiter, die jeweils eine eigene seelische Last zu tragen haben und sich nach Dorothys Einlassungen ebenfalls Hilfe vom mächtigen Oz versprechen: eine Vogelscheuche, die Verstand sucht, ein blecherner Holzfäller, der sein Herz vermisst und ein Löwe, dem es am standesgemäßen Mut mangelt. Gemeinsam erreichen sie die Smaragdstadt, treten nacheinander vor Oz, der ihnen jeweils in unterschiedlicher Gestalt erscheint, nur um zu erfahren, dass Oz' Hilfe einen hohen Preis hat: Sie müssen zunächst die böse Hexe des Westens töten, bevor ihnen der Zauberer helfen wird. Wohl oder übel willigen die friedfertigen Kameraden ein und machen sich auf den Weg zu einem Mord. Doch anders als die Hexe des Ostens erwartet die Hexe des Westens die kleine Schar ... und sie hat mächtige und gefährliche Verbündete.
Wer nur die Verfilmung des Jahres 1939 vor Augen hat und die zugrundeliegenden Bücher nicht kennt, ganz einfach, weil sie nicht zum deutschen Kinderbuch-Kanon gehören, dem bietet das vorliegende All-Age-Comic einige neue Einsichten. Nicht nur dass die Figuren – und hier insbesondere Dorothys Begleiter – deutlich lebendiger, tiefsinniger und in sich glaubwürdiger daherkommen, auch die Handlung selbst ist bei aller Leichtigkeit der poetischen Texte um Einiges komplexer als es das Musical vermuten lässt.
Das eigentlich Beeindruckende sind jedoch Skottie Youngs Zeichnungen beziehungsweise generell das Artwork: vordergründig leicht, mit deutlich ins Niedliche proportionierten Figuren und oft pastellhaft bunter Koloration, hat es doch gerade in der Strichführung einen beklemmenden Grim-N-Gritty-Unterton, in dem sich die Ambivalenz der Geschichte – das Wundersame auf der einen, das Gefährlich auf der andere Seite – perfekt widerspiegelt.
Abgerundet wird die vorliegende Edition durch eine Cover-Galerie sowie einige kommentierte Konzeptskizzen der vier Hauptprotagonisten, anhand derer man die Figurenentwicklung nachvollziehen kann.
Fazit: Ein unterhaltsames, grandios visualisiertes Comic für Alt und Jung, dessen märchenhafte Story selbst für die Leser viel Neues bietet, die glauben, den „Zauberer von Oz“ aus dem weltberühmten Musical-Film zu kennen.