Buddha 1: Kapilavastu (Comic)

Osamu Tezuka
Buddha 1
Kapilavastu
Aus dem Japanischen von John Schmitt-Weigand
Carlsen, 2012, Hardcover, 312 Seiten, 22,90 EUR, ISBN 978-3-551-76631-1

Von Irene Salzmann

Osamu Tezuka (1928-1989) wird von vielen als ‚der Gott des Manga‘ verehrt, da er durch seine Comic-Geschichten und Animationsfilme maßgeblich zur Popularität des Genres beitrug. Er adaptierte westliche Romane („Die Schatzinsel“, „Pinocchio“, „Faust“) und befasste sich mit Themen, die seine Leser bewegten („Astro Boy“, „Kimba der weiße Löwe“, „Buddha“).

In seinen Mangas bringt Osamu Tezuka stets den Wunsch nach Toleranz, Altruismus und einem friedlichen Miteinander zum Ausdruck, der zweifellos seinen Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegs geschuldet ist. Stilistisch steht der Künstler den alten Disney-Comics näher als dem modernen Manga. Die Figuren sind einfach aufgebaut und auf ihre wichtigsten Attribute reduziert (Tatta aus „Buddha“ weist durchaus eine gewisse Ähnlichkeit zu „Astro Boy“ auf). Rasterfolien setzt er sehr sparsam ein.

Etwa im 5. Jahrhundert vor Christi in der Region Nepal: Truppen aus Kosala verheeren das Land der Shakyas, sie morden und brandschatzen. Ihr Ziel ist es, Kapilavastu zu erobern, dessen Königspaar gerade ein Kind erwartet. Nur ein Wunder kann die junge Familie und das Volk retten. Asita, ein weiser Mönch, sendet seinen Schüler Naradatta aus, um den prophezeiten Auserwählten zu suchen. Der junge Mann begegnet dem Sklaven Chapra und dessen Mutter und dem Paria Tatta, der über eine besondere Gabe verfügt. Durch den Krieg werden sie getrennt. Chapra rettet General Budai, dem Anführer der feindlichen Armee, das Leben und wird, trotzdem er von niederer Herkunft ist, als dessen Sohn angenommen und zum Soldaten ausgebildet.

Obwohl Budai des Kämpfens müde ist und Chapra lieber als Beamten sehen würde, ist er stolz auf dessen Leistungen. Der Junge fällt sogar Malikka, der Tochter eines Ministers, auf, und die beiden verlieben sich. Über seinen Aufstieg vergisst Chapra, dass er eigentlich seiner Mutter und Tatta zu einem besseren Leben hat verhelfen wollen. Diese und Naradatta gelangen nach einigen Abenteuern in die Stadt, in der Chapra nun lebt. Sie wollen sich ihm zu erkennen geben, nicht ahnend, welche Folgen es haben könnte, wenn bekannt wird, dass General Budais Sohn der Kaste der Sklaven entstammt. Der Moment ist ohnehin höchst ungünstig, da Chapra von einem hervorragenden Bogenschützen zu einem Duell aufgefordert wurde. Bandaka will Chapra nicht nur besiegen, sondern ihn töten…

Die Geburt von Siddhartha – Buddha – wird nur am Rande erwähnt. Die Handlung konzentriert sich auf einige typische Repräsentanten der verschiedenen und insbesondere der niederen Kasten, dem von den Ariern eingeführten Gesellschaftssystem: Brahmanen (Adlige), Kshatriyas (Krieger), Vaishyas (Kaufleute, Grundbesitzer), Shudras (Handwerker, Tagelöhner), Sklaven und Parias.

Chapra und seine Mutter sind Sklaven, die ebenso wie der Paria Tatta durch den Krieg alles verloren haben. Während sich die Mutter in ihr Schicksal fügt, solange sie weiß, dass es ihrem Sohn gut geht, begehrt dieser auf und schafft den sozialen Aufstieg, der ihm ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht. Allerdings darf niemand wissen, wer beziehungsweise was er in Wirklichkeit ist. Statt seine Position zu nutzen, um anderen zu helfen, genießt er sein neues Leben, vergisst darüber seine Mutter und die Freunde und will noch weiter nach oben.

Tatta, den man zunächst aufgrund eines besonderen Talents und seiner Einstellung zum Leben für den gesuchten Auserwählten hielt, betrachtet nun Chapras Mutter auch als die seine und bleibt an ihrer Seite. Obwohl oder gerade weil er ein Paria ist, führt er ein relativ freies Leben nach eigenen Regeln. Anfangs wirkt er dadurch – er stiehlt und behandelt so manchen sehr verächtlich, was Chapra zu spüren bekommt, bevor sie Freunde werden – wenig sympathisch und recht derb. Dann jedoch entwickelt er sich immer mehr zu einem kleinen Jungen, der Opfer der Umstände, aber trotzdem bereit ist, für seine Gefährten alles zu geben. Das beweist er sehr nachdrücklich, als er sich, um seine Begleiter vor dem Hungertod zu bewahren, von einer Schlange im Tausch gegen einige ihrer Eier fressen lässt.

Naradatta, der den Auserwählten sucht und sich fragt, ob er ihn in Tatta gefunden hat, lernt auf der Reise viel hinzu und beginnt, die Welt mit anderen Augen zu sehen: das Leid, das durch das Kastensystem über die Menschen gebracht wurde, dass der durch die Geburt verliehene Rang nicht darüber entscheidet, ob jemand gut oder böse ist, was wahre Freundschaft und Güte ist.

Man darf spekulieren, ob Chapra, der hoch stieg, schon bald tief fallen wird, ob er und seine Mutter wieder vereint werden, ob sich Tatta (wie „Astro Boy“) für seine Freunde opfern wird, wenn es die Umstände erfordern, ob Naradatta den Auserwählten finden und wie sich die Begegnung mit diesem auf alle auswirken wird –- ob Siddhartha die Welt beziehungsweise die Menschen verändern und ihnen zu einem besseren Leben verhelfen wird.

Die Carlsen-Ausgabe von „Buddha“ ist auf zehn Hardcover-Bände angelegt. Sie erscheint nicht unter dem Manga-Label, sondern als Graphic Novel in der Comic-Rubrik, da sich der Titel weniger an den ‚typischen jungen Manga-Fan‘ wendet, sondern an ein reiferes, anspruchsvolleres Publikum, das den Gekiga („Existenzen und andere Abgründe“, Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß“), deutschen und amerikanischen Comics („Faust“, „Lebensbilder“) und den Franko-Belgiern („RG“, „Ganz allein“) und ähnlichem zugetan ist.

Man darf bei der Lektüre nicht vergessen, dass „Buddha“ von 1972 bis 1983 geschrieben und gezeichnet wurde, die Japaner viele Dinge völlig anders sehen als der westliche Leser, so dass man nicht jedes Wort, jede Zeichnung auf die Goldwaage legen darf, da dies nur zu Fehlinterpretationen führen würde (wie zum Beispiel die Unterstellung sexueller Aspekte, weil die Paria-Kinder unbekleidet sind). Auch finden sich gewollte Anachronismen, beispielsweise die Zigaretten und die Taschenuhr, die Asita in seiner Robe verbirgt.

Zweifellos ist „Buddha“ eine interessante Lektüre voller Aussagekraft – empfehlenswert für erwachsene Leser, die zwischen den Zeilen lesen können.