Ian Whates: Geisterjagd (Buch)

Ian Whates
Geisterjagd
(The Noise within)
Aus dem Englischen von Ingrid Herrmann-Nytko
Heyne, 2012, Taschenbuch, 448 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-3-453-52957-1 (auch als eBook erhältlich)

Von Thomas Harbach

Mit „Geisterjagd“ – im Original ist der Roman nach dem im ersten Kapitel auftauchenden Piratenraumschiff „The Noise within“ benannt – legt der Brite Ian Whates nicht nur seinen SF-Debütroman, sondern den Auftaktband einer Trilogie vor. Im Jahre 2006 gründete Whates den Verlag Newcon Press, veröffentlichte in den folgenden Jahre eine Handvoll in der Anthologie „The Gift of Joy“ gesammelte Geschichte und ist seit 2009 der Director der Science Fiction Writer of America. Neben dieser Space Opera erscheint auch noch eine dunkle Fantasy-Serie in den USA beziehunngsweise England.

„Geisterjagd“ beginnt mit einem Paukenschlag. Ein gigantisches Luxuskreuzfahrtraumschiff wird von einem aus dem Nichts auftauchenden, technisch sehr hoch stehenden Raumschiff überfallen und gekapert, die Passagiere ausgeraubt. Auf der Parallelhandlungsebene wird das Mitglied einer Spezialeinheit Leyton als Vertreter der „United League of Allied Worlds“ vorgestellt, der zusammen mit seiner intelligenten Waffe in eine natürlich bislang streng abgesicherte Basis einbricht, um relevante Informationen zu stehlen. Die beiden actionhaltigen Auftaktszenen sind sehr dynamisch geschrieben worden, wobei Ian Whates sich bei Leytons Einsatz eher vordergründig an Neal Ashers Waffenfetischismus orientiert, während der Überfall auf den Luxusliner ein wenig an Edmond Hamiltons „Captain Future“-Geschichten erinnert. Philip Kaufmann als Erbe eines gigantischen Luft- und Raumfahrtkonzerns erhält von seinem verstorbenen Vater, der seine Erinnerungen in einen Avatar übertragen hat, einen wichtigen Hinweis. Die „The Noise within“ erinnert an ihr eigenes Experimentalschiff „Sun Seeker“, das Kaufmanns Vater vor mehr als einhundert Jahren konstruiert und mit einer künstlichen Intelligenz ausgestattet hat. Beim Jungfernflug soll sich die künstliche Intelligenz gegen die eigene Besatzung gewandt haben und in den Tiefen des Alls verschwunden sein. Nur handelte es sich damals um ein nur spärlich bewaffnetes Erkundungs- und Experimentierraumschiff und keine waffenstarrende Festung, die aus den Tiefen des Alls wie ein Rächer zurückgekommen ist.

Während die Leyton-Handlungsebene voller Dynamik und Action ist, versucht Ian Whates auf der Phil-Kaufmann-Ebene eher psychologische Spannung durch eine auf den ersten Blick interessante Vermischung von Gegenwart und Vergangenheit zu erzeugen. Jack McDevitt hat diese Vorgehensweise im Grunde zu seinem Markenzeichen weiterentwickelt, wobei in vielen seiner letzten Romane die Suche interessanter und vielschichtiger ist als die Erkenntnisse, die am Ende des imaginären Regenbogens gefunden werden. Science-Fiction-Debütant Ian Whates kommt gar nicht so weit. Die Spannungen zwischen der künstlichen Avatarintelligenz seines Vaters und ihm selbst werden nur anfänglich erwähnt, spielen aber im Verlaufe des Plots eine enttäuschend geringe Rolle. Die Recherchen hinsichtlich der „Star Seeker“ sind derartig handlungsorientiert und oberflächlich, dass sich keine echte Spannung ergibt. Dafür fehlen entweder zu viele Informationen, die von Kaufmann und Leyton unabhängig voneinander nicht entdeckt werden, oder der Hintergrund von Ian Whates’ Universum ist stellenweise zu wenig nachhaltig entwickelt, um gänzlich überzeugen zu können.

Je stärker die Ermittlungs- in die eigentliche Actionebene einfließt, umso mehr gewinnt „Geisterjagd“ an Dynamik und Tempo zurück. Bis dahin wird vom Leser nicht nur ausgesprochen viel Geduld trotz der überschaubaren Länge verlangt, Ian Whates versucht mit einer Reihe von akrobatisch erotischen Szenen die Längen zu überdecken. Das wird sich wund geliebt und am Nachmittag kann Mann wieder. Eine attraktive „ältere“ Frau – also über 35 Jahre alt – wird trotz ihres eifersüchtigen wie gewalttätigen Mannes anscheinend im beiderseitigen Einvernehmen vernascht, was natürlich wenige Kapitel weiter zu einer drakonischen körperlichen Bestrafung führt. Diese Szenen reihen sich aneinander, ohne dass die entsprechenden Charaktere ausreichend entwickelt und vor allem diese Sequenzen auch wirklich erotisch knisternd beschrieben worden sind. Hier versuchte Ian Whates irgendwie bieder, Iain Banks zu imitieren, der nicht selten mit seinen Abstechern in den Bondagebereich die erotischen Sinne seiner Leser zu kitzeln, aber nicht zu provozieren suchte.

Wie schon angesprochen zieht Ian Whates am Ende des Buches mit aus dem Nichts auftauchenden Aliens und ihren umständlichen Plänen mit der „Sun Seeker“ auf. Dazu kommen eine Reihe von waghalsigen Aktionen Leytons – er hat sich an Bord des Piratenschiffes geschlichen – und Kaufmanns, der als virtuelle Wesenheit von den Gangstern geschnappt, umgeleitet und downgeloaded worden ist. Da es sich bei „Geisterjagd“ um den ersten Band einer Trilogie handelt, muss Whates ein halbwegs offenes, den Zuschauer lockendes Ende anbieten. Positiv ist, dass er keinen roten Faden fortsetzt, sondern eine bislang eher wenig entwickelte Nebenhandlung um eine verschwundene Leytons wahrscheinlich einzig wahre Liebe darstellende Frau handelt.

Was „Geisterjagd“ leider stellenweise enttäuschend als Debütroman entlarvt, ist die fehlende unter die Haut gehende und vor allem konsequente Charakterisierung aller Figuren sowie die eher ambivalente bis teilweise frustrierend Nutzung beziehungsweise Nichtnutzung von zur Verfügung stehender Technik. Bei den Charakteren ist Philip Kaufmann aufgrund seiner einzigartig futuristisch ödipalen Beziehung zu seinem Übervater mit sehr viel Potential ausgestattet. Während die Dialoge ausgesprochen pointiert und auch in der deutschen Übersetzung unterhaltsam lustig sind, wirkt die angeklebte zweite Pointe mit der Cyperdroge Syntheaven zu überdreht, zu wenig konsequent und vor allem auf der emotionalen Ebene zu wenig in einer für den Leser nachvollziehbaren „Realität“ verankert. Leytons intelligente Waffe wirkt insbesondere im Vergleich zur militärisch strategischen Entwicklung wie eine Art MacGuffin, der folgerichtig bei einer geheimen Mission von den Leyton begleitenden Hackern „entliehen“ werden muss, um in eine Festung einzudringen. Es erscheint unwahrscheinlich, das erstens nur das Militär über derartig künstliche Intelligenzen verfügt und zweitens eine elitäre Gruppe von Hackern nicht andere Wege beschreiten kann. Die intelligente Waffe als fehlerloses Werkzeug nimmt sehr vielen Passagen die Spannung. Sie darf nicht perfekt operieren, damit Leyton menschliche und damit fehlerhafte Entscheidungen hinzufügen kann. Das widersprecht aber der Intention des Autors. Mit dem Besatzungsmitglied Kyle an Bord des Luxusliners und später des Piratenschiffs fügt Ian Whates einen derartig eindimensionalen, wie ein Klischee erscheinenden Charakter dem Buch hinzu, dass das bis dahin stetige Tempo der Handlung rüde verlangsamt wird.

Bei den technischen Hintergründen bleibt der Leser nicht selten verwundert zurück. Ian Whates flüchtet sich in beschreibende Floskeln, welche den grandiosen Fortschritt der Menschheit mit dickem Bleistift unterstreichen sollen. Wenige Zeilen später werden diese Entwicklungen durch den Einsatz der nach mehr als einhundert Jahren wieder aufgetauchten wie modifizierten „The Noise within“ wieder ad absurdum geführt. Das mit einer künstlichen Intelligenz ausgestattete Gewehr ragt derartig aus den anderen eher an Sturmgewehre erinnernden Waffen heraus, dass es wie aus einem anderen Jahrtausend erscheint. Es gibt Hinweise, dass die künstlichen Intelligenzen – wie von Philip Kaufmann und seinem Vater genutzt – häufiger anzutreffen sind, als es Ian Whates für seine Handlung braucht. Darum wirken einige Passagen trotz des utopisch phantastischen Hintergrunds eher wie aus einer gegenwärtigen Militärgeschichte extrapoliert als wie in Neal Ashers übertriebenen Waffenphantasien für eine ferne Zukunft entwickelt. Wie in einem gewöhnlichen Krimi kann Philip Kaufmann erkennen, dass er verfolgt wird, während die Computer nichts Ungewöhnliches bemerken. Ein anderer Protagonist befindet sich auf einer „Todesliste“ eines Superkillers. Natürlich verzichtet der Profi nicht auf die Ausführung des Auftrages, nachdem sich das potentielle Opfer freigekauft hat. Jules Verne hat als erster Autor von vielen diese Idee in „Die Leiden eines Chinesen in China“ verwandt, Ian Whates kann dieser überflüssig erscheinenden Handlung keinen neuen Aspekt hinzufügen. Viel öfter hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als entwickele Whates lieber außergewöhnliche Ideen. Ihm fehlt aber die schriftstellerische Erfahrung, sie unauffällig und konsequent in den Handlungsstrom einzubauen.

Es ist zu früh, den Stab über die ganze Trilogie zu brechen. Einige Ideen des vorliegenden Auftaktbandes sind interessant gestaltet, aber zu wenig raffiniert extrapoliert. Die Figuren sind zumindest oberflächlich interessant und die vom Autor entworfene Zukunft einfallsreich, wenn auch zu wenig in den eigentlichen Plot eingebunden. Ein solider Erstling mit ein wenig Licht, aber noch viel Schatten, was hoffentlich mit den folgenden Büchern noch ausgeglichen wird.