Judge 1 (Comic)

Yoshiki Tonogai
Judge 1
Aus dem Japanischen von John Schmitt-Weigand
Carlsen, 2011, Taschenbuch, 240 Seiten, 7,95 EUR, ISBN 978-3-551-74702-0

Von Irene Salzmann

Sechs Jungen und drei Mädchen werden von einem Unbekannten entführt und in einem ehemaligen Gerichtsgebäude ausgesetzt. Als sie zu sich kommen, tragen sie Tiermasken, die sie erst nach einem Befehl absetzen dürfen – derjenige, der dem zuwider handelte, musste sterben.

Die Jugendlichen kennen einander nicht. Ihnen gemein ist, dass sie eine schwere Schuld auf sich luden und dafür büßen sollen. Alle zwölf Stunden findet eine Abstimmung statt, und wer die meisten Stimmen erhält, stirbt. Allein vier von ihnen soll am Ende die Freiheit geschenkt werden. Hiro glaubt, dass sie alle überleben werden, wenn jeder sich selbst als Todeskandidaten wählt, doch Furcht und Misstrauen sind so groß, dass sich womöglich nicht alle an die Vereinbarung halten. Ein Jugendlicher ist schon tot, und was weiter geschieht, schürt die Ängste und sorgt für zusätzliche Konflikte.

Wie schon für das vierteilige Prequel „Doubt“ entwarf Yoshiki Tonogai ein Szenario der Verzweiflung und des Schreckens. War es in der anderen Serie eine aufgegebenen Psychiatrische Einrichtung, in der sechs Jugendliche das Game ‚Rabbit Doubt‘ live austragen mussten und es ebenfalls um Schuld und Rache ging, so sind diesmal neun Delinquenten in einem alten Gerichtsgebäude versammelt.

Die Rahmenbedingungen sind identisch: Das Haus ist verschlossen; es gibt kein Entkommen. Handys erhalten keine Verbindung nach draußen. Ab und zu lassen sich neue Türen öffnen. Es finden sich mysteriöse Botschaften und Hinweise. Mindestens einer von ihnen weiß mehr, als er verrät, und dient dem unbekannten Drahtzieher als Handlanger, ist vielleicht sogar der Initiator des grausamen Spiels um Leben und Tod.

Statt zusammenzuarbeiten, denkt jedes Opfer nur an sich und hofft, einer der Vier zu sein, denen das Überleben versprochen wurde, nachdem sie die anderen durch die Abstimmung zum Tode verurteilt haben. Hiro, der sich die Schuld am Tod seines Bruders gibt, möchte alle um jeden Preis retten, doch schon bald muss er die schmerzliche Erfahrung machen, dass er niemandem wirklich vertrauen darf, dass er immer wieder getäuscht wird und in den Augen einiger durch sein Bemühen als nächster Todeskandidat infrage kommt. Über die anderen Delinquenten erfährt man in diesem Zusammenhang nur wenig. Einer wurde schon zu Beginn getötet, so dass sein Geheimnis gewahrt wurde. Die übrigen schweigen vorerst. Sie alle sind sehr individuell gezeichnet, nicht nur optisch, sondern auch vom Verhalten und der Sprache her.

Die Zeichnungen wirken realistisch, auch wenn die Gesichter oft etwas comichaft ausgeführt wurden. Bei den Hintergründen kann der Mangaka punkten. Außerdem ist ihm das Kunststück gelungen, eine Handlung, die keine Action-Szenen sondern fast nur Dialoge aufweist, abwechslungsreich darzustellen und den Leser wie durch einen Film zu führen, indem er Detail- und Totalansichten sowie Rückblenden geschickt nutzt.

In Folge wird „Judge“ keinen Moment langweilig. Die bedrückende Atmosphäre zieht in den Bann und macht neugierig auf die Fortsetzung. Wer wird das nächste der „Zehn kleinen Negerlein“ sein?