Sang Royal 1: Gottlose Hochzeit (Comic)

Sang Royal 1
Gottlose Hochzeit
(Sang Royal – tome 1: Noces Sacrilèges)
Szenario: Alejandro Jodorowsky
Artwork: Dongzi Liu
Übersetzung: Marcel Le Comte
Ehapa, 2011, Hardcover, 56 Seiten, 13,95 EUR, ISBN 978-3-7704-3418-3

Von Irene Salzmann

König Alvar wird während einer Schlacht gegen die Heiden durch einen Pfeil schwer verwundet. Damit das Heer nicht den Mut verliert, legt sein Cousin Alfred die Herrscherinsignien an, übernimmt die Rolle des Anführers – und anschließend den Thron einschließlich Königin Violena.

Unterdessen wird der sterbende König von einer buckligen Schäferin gefunden und gesund gepflegt. Batia nimmt den Verwirrten, der jegliche Erinnerung an sein bisheriges Leben verloren hat, zum Mann und bringt sein Kind, Sambra, zur Welt. Elf Jahre später erhält Alvar sein Gedächtnis zurück. Er verstößt Batia, die ihre Pläne als gescheitert erkennt und sich erhängt, und Sambra, die gar nicht seine Tochter ist – ein Geheimnis, das Batia mit in ihr Grab nimmt. Zurück in seiner Burg übt Alvar Rache an Alfred, Violena und deren gemeinsamen Sohn Rador. Weitere zehn Jahre später begegnet Alvar im Wald einem Mädchen, das er vergewaltigt. Zu spät erkennt er den Siegelring an ihrer Hand und damit seine vermeintliche Tochter. Die gegenseitige Anziehungskraft ist jedoch zu groß, als dass sie sich wieder trennen könnten: Alvar ehelicht Sambra und macht sie zur neuen Königin…

…was den Leser ahnen lässt, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen kann. Denn Alvar, der zunächst als pflichtbewusster König auftritt, stürzt durch eine Pfeilwunde als Verwundeter, vor allem aber als Heerführer und König. Allerdings ist er sich der wahren Konsequenzen noch nicht bewusst, als er seine Position an den ihm ähnlich aussehenden Alfred abtritt, damit seine Soldaten siegreich aus der Schlacht hervorgehen. Sein Cousin verrät ihn jedoch um der Macht Willen. Die geistige Verwirrung lässt Alvar weiter herabsinken auf die Stufe eines Tieres, das allein seinen Überlebensinstinkten folgt und gegenüber Batia und Sambra keine Rücksicht kennt. Durch die Rückkehr seines Gedächtnisses wird Alvars Fall nicht gebremst, da er sich von den beiden Menschen lossagt, die ihm das Leben gerettet haben und von denen er einen in den Tod treibt. Alvars Rache an den Verrätern ist blutig. Den Tiefpunkt erreicht er, als er seine angebliche Tochter vergewaltigt und gegen den Willen der Kirche zu seiner Frau und Königin macht.

Hegte man anfangs noch Sympathien für den schwerverletzten, verratenen Herrscher, konnte man noch nachvollziehen, dass ihn Batias Anblick schaudern ließ, empfand man sogar ein gewisses Verständnis dafür, dass er den Thronräuber im Schwertkampf tötete, dessen sadistischen Sohn die Zunge herausschnitt und ihn mitsamt der Königin verbannte, so sorgt Alvars übriges Handeln dafür, dass diese Gefühle ersterben. Er ist nicht länger unschuldiges Opfer und Rächer in einer ‚gerechten‘ Sache, sondern er wird selber zum Täter und Mörder und damit schuldig.

Dabei setzt er sich über menschliche und göttliche Gesetze hinweg, um seinen Willen zu erzwingen. Der von Gott bestimmte weltliche Herrscher und Diener seines Volkes wandelt sich zum selbstgerechten König nach eigenen Gnaden, der sich erst die ihm geraubte Würde und Macht zurückholt, dann eine vermeintlich inzestuöse Verbindung eingeht und zum Bigamisten wird. Indem Alvar auf Sambras Abstammung verweist, versucht er, die Ansprüche der neuen Königin sogar noch zu legitimieren und bricht prompt mit allen Werten, fordert Gott dadurch heraus.

Zwar scheint Alvar zunächst für sich alles zum Guten wenden zu können, doch die zweite Ära seiner Herrschaft steht in Konsequenz auf tönernen Füßen – und wenigstens ein Album wird das grausame Garn weiterspinnen.

Nicht minder drastisch sind die realistischen, stimmungsvoll kolorierten Illustrationen. Was das ansprechende Cover verspricht, hält der Inhalt: Ein gutaussehender Krieger – Alvar – erhebt sich aus dem Schlachtengetümmel, das Schwert in der Hand, um ihn herum spritzt reichlich Blut. Die Abbildung ist symbolträchtig, denn mit der Waffe und durch viel Blutvergießen verteidigt die Hauptfigur sein Land, er erobert seinen Thron zurück, er straft/richtet, und er übt Willkür aus.

Schlägt man das Album auf, sind die ersten Seiten nicht weiß oder schwarz, wie meist üblich, oder mit großflächigen Mustern/Illustrationen versehen, sondern blutrot. Blättert man um, sind die Seiten schwarz, der Titel sticht in Rot hervor. Danach sprechen die Bilder für sich, die den Krieg und den Verrat mit all ihren Gräueln, das Verwildern eines ehrbaren, attraktiven Mannes und seine grausame Rache in aller Hässlichkeit beschreiben. Insbesondere der Kontrast von dem zunächst fast feminin wirkenden Alvar, der zum bärtigen Barbaren verkommt, erschüttert. Selbst nachdem er wieder König wurde, verwandelt er sich nicht mehr zurück. So wird auch optisch sein unaufhaltsamer Sturz dokumentiert. Hinzu kommen explizite Sex-Szenen, die in keiner Weise erotisch wirken und auch nicht wirken sollen, denn Liebe ist nicht im Spiel. Es geht um Macht (Alfred und Violena), mysteriöse Pläne (Batia und Alvar), animalische Begierden (Alvar und Sambra).

Von daher möchte man „Sang Royal“ 1 ausschließlich reiferen Lesern empfehlen, die mit der Geschichte und ihrer grafischen Umsetzung umzugehen wissen.

Der mittelalterlich anmutende Fantasy-Comic ist spannend und tragisch, sehr schön gezeichnet, aber nur vordergründig leichte, traditionelle Kost, da die Künstler größten Wert auf die Symbolik und jene Inhalte legen, die nicht ausgesprochen werden, sondern zwischen den Zeilen stehen.