Neandertal 1: Der Jagdkristall (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 29. März 2010 08:48
Neandertal 1
Der Jagdkristall
(Neandertal: Le cristal de chasse)
Text & Artwork: Emmanuel Roudier
Übersetzung: Tanja Krämling
Lettering: Dirk Schulz
Splitter, 2009, Hardcover, 56 Seiten, 13,80 EUR, ISBN 978-3-940864-86-4
Von Frank Drehmel
Als man mir seitens des Splitter Verlags den zweiten Band der „Neandertal“-Reihe zur Verfügung stellte, war ich nicht nur skeptisch, sondern stand dem Stoff regelrecht voller Abneigung gegenüber, denn prähistorische Ethnos mit Fussel-Haaren und Fell-Klamotten waren selbst zu der Zeit nicht mein Ding, als Raquel Welch „Eine Million Jahre vor unserer Zeit“ im Fell-Bikini eine gute Figur machte oder man mit der Kenntnis der „Ayla“-Romane Eindruck beim anderen Geschlecht schinden konnte; kurze Zeit später war ich so gefesselt von Emmanuel Roudiers Comic, dass ich mir unverzüglich das vorliegende erste Album orderte … and here we go.
Europa vor 50.000 Jahren: Der älteste und beste Jäger des Stammes der Rotrippen wird während der Jagd auf den bösartigsten und wildesten aller Bisons, ein schwarzes Ungetüm namens Langbart, das sämtliche Clans der Ebene fürchten, tödlich verwundet. Auf seinem Sterbebett nimmt er seinen Söhnen den heiligen Schwur ab, das Tier zur Strecke zu bringen, damit er ins Reich der Toten eingehen könne.
Einer dieser Söhne ist Laghou, ein schwächlicher, hinkender junger Mann, der – da angeblich für die Jagd ungeeignet – von seinen Brüdern regelmäßig misshandelt wird und der es lediglich seiner überragenden Fähigkeit, Waffen herzustellen, verdankt, dass sie ihn nicht längst getötet haben. Als sich seine Geschwister auf den Weg machen, die Untier zu stellen, schleicht ihnen Laghou nach und wird Zeuge eines Verrates an dem einzigen Bruder, der ihn ab und an in Schutz nahm.
Nachdem er seinen Mentor, den alten, einsiedlerischen Ghoibu um Rat gefragt und seine sieche Mutter über die Untat der Geschwister informiert hat, mach sich der junge Mann auf die Reise über die weiten Ebenen, um beim Clan des Mondes eine legendäre Waffe zu erbitten, die nur dieser Stamm herzustellen vermag und mit der Laghou Langbart alleine zur Strecke will.
Auf dem Weg dorthin findet er einen Schwerverwundeten, den er in das Lager der Mondleute schleppt und sich so deren Achtung verdient. Dennoch versagt man ihm zunächst die Waffe, da der Clan selbst von einer ansteckenden Krankheit dahingerafft zu werden droht.
Sollte es Laghou jedoch gelingen, das Heilmittel von den friedlichen Moosmenschen zu besorgen, wird man ihm den Jagdkristall aushändigen. Erneut bricht der furchtlose Laghou auf – diesmal in Begleitung der jungen, schönen Mana –, um seine Bestimmung zu erfüllen.
Meine größten Bedenken vor der Lektüre erwuchsen aus der Tatsache, dass Roudiers Neandertaler eine ausgesprochen – wie wir Norddeutschen es nennen – sabbelige Attitüde an den Tag legen, die in einem offensichtlichen und verstörenden Widerspruch zu (m)einem paläoanthropologischen Scheinwissen steht, nach welchem diese wackeren Leutchen mehr oder weniger grunzend das Mammut erlegten. Dass der „Homo neanderthalensis“ dem Stand der Forschung nach ziemlicher sicher einer komplexen Sprache mächtig gewesen sein muss, ergab sich nach fünf Minuten Internet-Recherche, dass die Sprache der Hauptfiguren in vorliegenden Comic authentisch klingt, nach zehn Minuten des Lesens. Dem Autor gelingt der Spagat, die Texte auf der einen Seite flüssig beziehungsweise angenehm lesbar zu gestalten, sie auf der anderen ganz in der wahrscheinlichen Erfahrungswelt der Früheuropäer zu verhaften, sie also nicht mit modernen Phrasen und Worten zu überfrachten …
Die questorientierte Grundstory selbst ist – wie die Figuren – relativ einfach beziehungsweise vorhersehbar konstruiert, bietet wenige Überraschungen und lebt dementsprechend eher von der „Exotik“ der prähistorischen Gesellschaft(en) als von nervenzerfetzender Spannung …
Die eigentlich Stärke des Comics liegt damit im klaren, realistischen Artwork Roudiers. Zwar wirkt die Zeichnung gerade der Gesichter der Protagonisten mit einer leicht toonhaften Attitüde vereinzelt etwas unsicher, aber allein die Landschaften – die weiten Ebenen mit ihren Tierherden, die einsamen Wälder oder die schroffen Hügel – sind schlichtweg überwältigend authentisch, wobei ein Bild auf Seite 48, in welchem sich Mana und Laghou an einigen Mammuts vorbeischleichen, ein absolutes Highlight in Hinblick auf Expressivität und Aussagekraft darstellt, denn hier spiegelt sich – in Körpersprache und Perspektive – nahezu perfekt die mutmaßliche Stellung des Neandertalers in der Natur wider.
Fazit: Überraschenderweise fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite, selbst wenn man nicht auf prähistorische Ethno-Abenteuer steht.