Colin Harvey: Gestrandet (Buch)

Colin Harvey
Gestrandet
(Winter Song)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Winfried Czech
Titelillustration von Nele Schütz Design
Heyne, 2012, Taschenbuch, 544 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-52914-4 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Karl Allman wollte eigentlich nur eine Abkürzung zu seiner schwangeren Frau nach Hause nehmen, als sein Raumschiff von Angehörigen der Traditionalisten angegriffen und abgeschossen wird. Als Glück im Unglück erweist sich das Planetensystem in dem er havariert als eines, in dem vor dem Krieg der Traditionalisten gegen die Former damit begonnen wurde, einen Planeten zu terraformen und erste Siedlungen errichtet wurden. Ohne die weitere Unterstützung der Terraformer aber fielen die Siedler auf ein frühes Zivilisationsniveau zurück.

Im langen, strengen Winter des Planeten hat sich in den vergangenen Jahrhunderten eine Zivilisation ausgebildet, die an die frühen Wikingerstämme erinnert. Frauen wurde zu reinen Gebärmaschinen degradiert, der Anführer herrscht absolut, dem mühsamen Überleben der Rasse wird alles andere untergeordnet.

Als Ragnar, der Anführer einer der Ansiedlungen; Karl mit gebrochenen Beinen findet, sieht er in dem körperlich starken Mann eine Chance, seinem darbenden Clan einen neuen, kräftigen Helfer zu verschaffen. Bera, eine junge Frau, die von den meisten ihres Clans geschnitten und gemobbt wird, soll den Unbekannten aufpäppeln. Dass Bera selbst verachtet wird, hat sie sich nach dem Eigenverständnis der Mitglieder selbst zuzuschreiben. Nicht nur hat sie ihr Kind verloren, sie weigert sich auch hartnäckig zu offenbaren, wer der vermeintliche Vater des Ungeborenen gewesen wäre. So hat sie ihren Ruf als nutzlose Schlampe weg, taugt gerade noch dazu, einem offensichtlich geistig Verwirrten zu pflegen.

Während der von seinen ihn heilenden Nanotechpartikeln geplagte Karl sich zunächst wie ein Verrückter gebärdet, kommen die beiden so ungleichen Menschen einander näher. Sie fassen Vertrauen zueinander und machen sich schließlich zusammen auf, die Überreste des verschollenen, alten Siedlungsschiffs zu suchen, um Karl eine Möglichkeit zu geben, den Planeten zu verlassen. Dass dies den energischen Widerstand Ragnars hervorruft, der die Beiden verfolgt, sorgt neben der unwirtlichen Flora und Fauna für weitere Dramatik...

Heyne vertreibt den Roman unter dem Signet „Space Action“. Wer nun aber erwartet, dass darunter die Zeichnung der Charaktere leiden würde, der sieht sich glücklicherweise getäuscht. Ganz im Gegenteil nehmen die Personen, gerade in Verbindung zu dem nach einer anfänglichen Durststrecke doch noch faszinierend beschriebenen Planeten, eine bedeutende Stellung im Buch ein.

Dem Autor geht es, neben seiner Intention eine spannende Geschichte voller Exotik zu erzählen, darum, eine archaische Zivilisation zu beschreiben. Wie reagiert eine gesellschaftlich homogene kleine Gruppe, wenn ihr von außen ein fremder Einfluss zugeführt wird, der noch dazu ganz andere Sichtweisen und Überzeugungen in die fest geformten Verhaltensmuster einbringt? Und wie wird ein Alpha-Männchen par excellence, wie es der Anführer eines solch kleinen Gemeinwesens in einer unwirtlichen Umgebung unabdingbar sein muss, auf derartige Tendenzen reagieren? Interessante, faszinierende Fragen, denen sich der Autor im Gewand seines Abenteuer-Romans hier annimmt. Es geht um Selbstbestimmung, um Freiheit aber auch um Verantwortung gegenüber Anderen. Harvey zeigt auf, dass es hier keine allgemein gültigen Antworten gibt, dass jede Sicht- und Verhaltensweise, geprägt durch die jeweilige Motivation in sich logisch nachvollziehbar erscheint. Als solches ein nicht uninteressanter Roman, dessen etwas zögerlicher Beginn vom Leser ein gewisses Durchhaltevermögen fordert.