Carl Grunert: Im Königreich Nirgendwo (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 07. Dezember 2011 21:45
Carl Grunert
Im Königreich Nirgendwo
Sämtliche Zukunfts-Novellen und Gedichte 1887 – 1914
Verlag Dieter von Reeken, 2011, Hardcover, 680 Seiten, 42,50 EUR, ISBN 978-3-940679-53-6
Von Carsten Kuhr
Schaut man in die Analen der deutschen Utopisch-Phantastischen Literatur, so kommt dem Interessenten als errster Kurt Laßwitz, dann vielleicht noch Hans Dominik und P.A. Müller in den Sinn, der Rest der Verfasser entsprechender Werke ist weitgehend vergessen.
Verschiedene engagierte Kleinverleger versuchen seit Jahren diesen beklagenswerten Zustand abzuhelfen. Neben Thomas Braatz’ (Edition Braatz & Mayrhofer) Kraft- und Haggar Edition, dem Synergen Verlag und den BunTES-Heften aus der Werkstatt Gerd-Michael Rose ist hier in erster Linie Dieter von Reeken zu nennen. Seit Jahren erscheinen in seinem Verlag sorgfältig redigierte und liebevoll aufgemachte Bände vergessener deutschsprachiger Phantasten im lesefreundlichen Neusatz.
Bereits 2005 legte von Reeken drei broschierte Bände mit Geschichten Carl Grunerts auf. „Im Irdischen Jenseits“, „Der Marsspion“ und „Zukunfts-Novellen“ gaben einen ersten Einblick in die Schaffenskraft des bekennenden Lasswitz-Bewunderers. Nun also liegt das bislang umfangreichste und ambitionierteste Buch aus dem DvR Verlag vor. Mehr als 670 Seiten, noch dazu relativ klein gesetzt, sind es geworden, die uns den kompletten Carl Grunert, zumindest was dessen utopisch-phantastische Arbeiten anbelangt, offerieren. Ein Hardcover mit zahllosen Abbildungen, Lesebändchen und Fadenheftung sucht seine Leser.
Neben einem informativen Vorwort des Herausgebers, der die wenigen verifizierten Daten und Erkenntnisse zum Leben des Autors zusammenfasst, erwarten uns zunächst chronologisch geordnet die Novellen, die in den Sammelbänden erschienen sind. Daran schließen sich die Veröffentlichungen in Periodika und die Gedichte an. Eine illustrierte Bibliographie sowie ein Geleitwort zur Erstausgabe des Marsspions und 5 Briefe Grunerts an Laßwitz schließen den Band ab.
Man merkt dem Buch an, was für eine Arbeit in ihm steckt. Nicht nur, dass sämtliche Texte erfasst, aus Faktur in die heute gebräuchliche Schrift umgesetzt und redigiert werden mussten, es galt auch, Titelabbildungen und Daten zu beschaffen, in Form zu bringen und ansprechend zu präsentieren.
Das Gebotene richtet sich dabei an interessierte Leser ebenso wie an wissenschaftliche Forscher, und bietet einen umfassenden Blick auf einen Autor und seine Zeit, der mehr ist als ein Zeitdokument, der auch heute noch lesbar ist, der intelligent, so manches Mal belehrend aber selten deutschtümelnd seine Geschichten erzählt. Dabei vermischt er immer technische Errungenschaften seiner Protagonisten mit deren Gefühlswelt. Heute würde man derartige Stoffe neudeutsch als Romancies bezeichnen, Love-Stories mit einem übernatürlichen – im Fall Gruberts utopischen – Element.
Sei es, dass er uns in die Tiefen des Atlantiks entführt und uns von dem zu Ende gehenden Luftvorrat einer Telegrafenstation am Meeresboden berichtet, ein neues Element entdecken lässt, das Sonnenlicht speichert, Funkverbindungen über Kontinente vorhersagt oder von einer strengen Geschlechtertrennung in Fern-Ehe und mit Familienplanung berichtet, immer wieder stehen wackere Forscher und tatkräftige Wissenschaftler im Zentrum des Geschehens. Meistens begegnen sie ihrer Liebe, und manches Mal gehen diese Gefühlswirrungen nicht gut für unseren Helden aus.
Auf der einen Seite präsentieren uns die Texte glühende Bewunderung in den wissenschaftlichen Fortschritt, dies aber immer gepaart mit menschlichen Schicksalen. Melancholisch, dann wieder humorvoll oder gar überschwänglich, kommen die Texte daher. Wir begegnen Hommagen an Jules Verne, H. G. Wells und Kurt Laßwitz – alle aber keine simplen Kopien, sondern durchaus eigenständige Ausführungen zu bekannten Themen.
Gerade die emotionalen Verirrungen ermöglichen es dem Autor, immer wieder seine lyrische Seite auszuleben und Gedichte in seine Texte einzuflechten. Auch wenn letztere, wie Dieter von Reeken im Vorwort zutreffend ausführt, nicht immer passen, den Handlungsfluss stören oder kitschig wirken, sind sie als Bestandteil der jeweiligen Erzählung unabdingbar.
Zu schade ist es, dass der Autor Zeit seines Lebens nie einen Roman zur Papier gebracht hat. Entsprechende Ansätze in den Kurzgeschichten und Novellen werden aus Platzmangel nicht verfolgt. So bietet der Band ein umfassendes Bild der Schaffenskraft eines frühen Deutschen Phantasten, der zu Unrecht fast dem Vergessen anheim fiel.
Ein aufgrund des Umfangs und der darin eingeflossenen Arbeit sicher nicht billiges, aber preiswert im Sinne von seinen Preis wertes Werk, zum Verschenken oder sich selber schenken gut geeignet.