Tim Curran: Der Leichenkönig (Buch)

Tim Curran
Der Leichenkönig
(The Corpse King, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Ben Sonntag
Titelbild: Mark Freier
Mit einem Interview, geführt von Christian Endres
Atlantis, 2011, Paperback, 148 Seiten, 11,90 EUR (auch als Hardcover direkt beim Verlag erhältlich (14,90 EUR) und als eBook)

Von Irene Salzmann

Noch vor wenigen Generationen florierten die Geschäfte der Grabräuber. Ihnen ging es weniger um Wertgegenstände, die den Toten ohnehin nicht mitgegeben wurden, sondern um die Leichen selbst: Medizinstudenten und Ärzte zahlten gut für einen Körper, an dem sie anatomische Studien betreiben und an dem sie neue Operationsmethoden üben konnten. Auch wurden zum Beispiele intakte Gebisse als Zahnersatz geschätzt. Natürlich wurden die Grabschänder von der Polizei gejagt, und wer erwischt wurde, musste mit den härtesten Strafen rechnen – doch die Armut zwang viele dazu, dieses Risiko einzugehen.

So auch Samuel Clow und Mickey Kierney, zwei Edinburgher um 1820, die die Hoffnung auf einige Pence dazu treibt, auf einem Friedhof zu graben, über den gemunkelt wird, dass dort etwas Böses hause, das sich ebenfalls für die Leichen interessiert. Ein alter Kollege behauptet gar, diesem Wesen nur ganz knapp entkommen zu sein. Die beiden schlagen alle Warnungen in den Wind und…

Tim Currans Horror-Roman in der Tradition der Gothic Novel stützt sich auf Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert, und seine Protagonisten sind belegten Personen nachempfunden, die als Grabräuber ihr Elend zu mildern versuchten. Tatsächlich soll es einen „Leichenkönig“ gegeben haben, der als Leichenhändler zu Wohlstand kam, doch für sein Buch wählte der Autor eine unheimlichere Figur.

Es gelingt ihm, den Leser in die Vergangenheit zu entführen und ein sehr realistisches Bild von der Armut der Bevölkerung zu zeichnen, die zu nahezu allem bereit war, um sich etwas zu verdienen und durch Alkohol das Elend für wenige Stunden vergessen zu können. In Folge sind Samuel Clow und Mickey Kierney sowie die übrigen Charaktere keine sympathischen Identifikationsfiguren sondern grobe, derbe Protagonisten, die mit offenen Augen in ihr Verderben laufen – wie könnte es auch anders sein? Man ahnt früh, dass es kein Happy End geben kann und verfolgt gespannt, wie die unheilvolle Atmosphäre immer düsterer wird und sich die Situation zuspitzt.

Etwas übertreibt es der Autor mit der Vulgärsprache. Freilich erwartet man nicht, dass sich die Vertreter der unteren sozialen Schichten gewählt ausdrücken, doch stellenweise zwingt sich der Eindruck auf, dass die groben Worte dem Selbstzweck dienen, weil sie von manchen Kreisen als ‚cool‘ befunden werden.

Alles in allem liegt dem „Leichenkönig“ ein interessantes Thema zugrunde, das gekonnt umgesetzt wurde. Horror-Fans, die es schaurig und derb mögen, werden gut unterhalten. Das Vorwort des Autors und ein Interview mit ihm liefern zudem reizvolle Einblicke in sein Arbeiten und vor allem Informationen zum vorliegenden Buch.