Neonomicon (Comic)

Alan Moore
Neonomicon
(Alan Moore’s The Courtyard 1-2,USA 2003; Neonomicon 1-4, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Titelbild & Zeichnungen von Jacen Burrows
Panini, 2011, Paperback, 160 Seiten, 16,95 EUR, ISBN 978-3-86201-191-9

Von Frank Drehmel

Zweifellos gehört der 1953 in Northampton geborene Alan Moore zu den bedeutendsten angloamerikanischen Comic-Schaffenden der letzten drei Dekaden, hat er doch mit „Watchmen“, „From Hell“, „V for Vendetta“, „The League of Extraordinary Gentlemen“und vielen anderen mehr, aber auch mit typischen Superhelden-Comics wie „Batman: The Killing Joke“ Meilensteine des Genres geschaffen, die oft die tradierten Erzählweisen und Themen sprengen und die Grenzen zwischen der neunten Kunst und der Literatur verwischen.

In „Neonomicon“ nun widmet sich Moore der Fortschreibung des Cthulhu-Mythos des US-amerikanischen Autors H.P.Lovecraft (1890–1937), der wie sein Schöpfer ebenfalls eine herausragende Stellung in Bereich der Horror-Literatur einnimmt und eine erkleckliche Anzahl nachfolgender Autoren bis ins Hier und Heute beeinflusst, wenn nicht sogar geprägt hat.

FBI-Agent Aldo Sax, seines Zeichens rassistisches Arschloch und brillanter Theoretiker beziehungsweise Profiler, hockt in geheimen Auftrag seines Vorgesetzten in einer schäbigen Wohnung in einem heruntergekommen Schuppen in einer zwielichtigen Gegend, um fünfzehn gleichermaßen bizarre wie unzusammenhängende, rituell anmutende Morde zu lösen. Schon bald führt ihn seine Intuition in den Club Zothique und zu dem Dealer Johnny Carcosa, der eine neue Droge namens Aklo vertreiben soll, die mit den Morden in Zusammenhang stehen könnte.

Aldo gibt sich als Junkie mit dem Bedürfnis nach etwas Speziellem aus und kann Cacosa, der sich stets mit halbverschleiertem Gesicht nicht nur in der Öffentlichkeit bewegt, überzeugen, ihm das Zeug zu verticken. Als der Deal in der Wohnung des seltsamen Mannes über die Bühne geht, erfährt und erlebt der Agent, dass Aklo nicht das ist, was er vermutete und dass der absolute Irrsinn auch in ihm selbst ruht und darauf wartet, befreit zu werden.

Einige Jahre später: die beiden FBI-Agents Gordon Lamper und Merril Brears erhalten vom Vorgesetzten Sax', Perlman, den Auftrag, die Umstände aufzuklären, unter denen der Ex-FBI-Agent zu dem wurde, was er heute ist. Auch sie führt ihr Weg ins Zothique und zu Carcosa, doch anders als Sax wartet auf sie nicht nur der Wahnsinn, sondern der Tod in den Fängen von Kultisten, die mit ihren unaussprechlichen Praktiken dem alten Gott Dagon und dem kriechenden Chaos Nyarlathotep huldigen.

Der vorliegende Sammelband enthält zwei komplette Mini-Serien aus der Feder Moores, zwischen deren Erscheinen rund sieben Jahre liegen: den Zweiteiler „The Courtyard“ aus dem Jahr 2003, der Aldo Sax' Erwachen zum Inhalt hat, sowie „Neonomicon“ 1-4, welche sich um Merril Brears Bestimmung dreht. Erfreulicherweise gelingt es Moore scheinbar mühelos, trotz der dazwischen liegenden Zeitspanne die beiden Handlungen zu verknüpfen und ineinander fließen zu lassen. Bedauerlicherweise jedoch bieten beide Story-Arcs einem Lovecraft-Fan kaum Überraschungen und originelle Ideen – auch wenn ein leichter wohliger Grusel nicht von der Hand zu weisen ist –, sondern leben in erster Linie von ihren Referenzen und Anspielungen auf zahlreiche lovecraft'sche Geschichten – sei es „Pickman's Model“, „The Rats in the Walls“, „The Cats of Ulthar“ oder „The Dream-Quest of Unknown Kadath“ – sowie von politisch nicht ganz korrekten Szenen – Rassismus, Gewalt & Sex –, die letztlich für die „Ab 18“-Empfehlung ursächlich gewesen sein werden.

Anders als die Storys weiß das Artwork Jacen Burrows von Beginn an vollends zu überzeugen. Die feinstrichigen, vergleichsweise flächigen Zeichnungen selbst sind in beiden Mini-Serien gleichermaßen von einer klaren, kühlen Eleganz und Distanziertheit mit lebendigen, cineastisch anmutenden Perspektiven und Schnitten, sowie markanten Figuren und bizarren Details. So ähnlich die Strichführung – und die Koloration –, so unterschiedlich das Seitenlayout. Während „The Courtyard“ durchgängig mit zwei vertikal angeordneten Panels pro Seite aufwartet, die die gesamte Seitenhöhe in Anspruch nehmen und die nach Bedarf zu ganzseitigen Bildern verschmelzen, erfolgt in „Neonomicon“ eine Gliederung in jeweils vier seitenbreite horizontale Panels, von denen ebenfalls zwei oder mehr bedarfsweise verbunden sind. Daraus resultiert, dass in „Neonomicon“ deutlich mehr Handlung und erzählerische Details je Seite Platz finden und dadurch die Geschichte insgesamt etwas mehr Tiefe und Komplexität ausstrahlt.

Fazit: Trotz der zumindest für Cthulhu- und Lovcraft-Kenner durch und durch vorhersehbaren Handlung alleine wegen der Reminiszenzen beziehungsweise Referenzen sowie wegen des exzellenten Artworks empfehlenswert.