Nina Blazon: Zweilicht (Buch)

Nina Blazon
Zweilicht
Titelillustration von Valentina Kallias
cbt, 2011, Hardcover, 412 Seiten, 18,99 EUR, ISBN 978-3-570-16117-3 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Jay hat es nicht einfach in seinem Leben. Sein amerikanischer Vater, der immer mehr in die esoterische Welle eintauchte und in den Staaten zu Tode kam, hatte ihn verlassen, seine Mutter sich in Berlin neu gebunden. Statt sich in das geordnete Leben dort einzufinden weiß er nur eines – so geht es nicht weiter, er fühlt sich eingeengt, bevormundet und muss weg.

So zieht er zu seinem Onkel nach New York. Vorgeblich nur für ein Jahr Schüleraustausch, doch er weiß, dass er nicht zu seiner Mutter, die ihm den Vater ganz bewusst entfremdet hat, zurück kann.

In der High School lernt er ein zurückhaltendes Mädchen kennen, das anders ist, als die sonst so austauschbaren, oberflächlichen Cheerleader. Madison hat kein Handy, keinen Facebook-Accountund keinen Freund – insbesondere Letzteres will Jay unbedingt ändern. Gerade als seine Annäherungsversuche zu fruchten beginnen, lernt er ein anderes Mädchen kennen. Ivy nennt sich die mysteriöse, mit einem Speer bewaffnete Unbekannte, die ihn in der Folgezeit nicht nur vor Madison, sondern auch vor seinem Onkel und dessen Sohn warnt. Was sie berichtet ist so abgedreht, dass sie eigentlich in die Klapse gehören würde: die Welt, wie Jay sie kennt, würde nicht mehr existieren, Madison und seine Familie versuchten ihn mit allen Mitteln in der Traumwelt zu behalten, während Ivy ihm die Realität bewusst machen will. Verrückt – oder doch mehr? Eine Hetzjagd und Flucht später ahnt Jay, dass an Ivys Geschichte mehr dran sein könnte, als zunächst vermutet…

Was als gewohnte Dreiecksgeschichte jugendlicher Protagonisten beginnt, das nimmt ab der Mitte des Buches eine ebenso unerwartete, wie verblüffende Wendung. Die erste Hälfte des Buches steht ganz im Zeichen eine rebellierenden Jugendlichen. Anders als in vielen Titeln der sympathischen Autorin hat sie sich vorliegend für einen männlichen Handlungsträger entschieden. Und Jay nimmt uns mit seinem oftmals aufbrausenden Wesen, seiner inneren Verletzlichkeit und seiner vergrabenen Trauer um den verunglückten Vater schnell gefangen. Das ist eine Identifikationsfigur mit der der jugendliche Leser schnell und mühelos warm wird. Ein Rebell, der ein wenig haltlos seinen Platz im Leben sucht, dem die Bezugsperson fehlt, der schlicht um seinen Vater trauert und von der Mutter, die ihm alle Postkarten des Vaters vorenthalten und versucht hat, jeglichen Kontakt zu unterbinden, maßlos enttäuscht ist.

Mit Madison, die sich ihm überraschend schnell öffnet, seinen New Yorker Verwandten und Ivy, zieht dann das, nennen wir es einmal „Merkwürdige“, in die Handlung ein. Zunächst tut er die Aussagen noch als hirnrissig ab, doch dann dreht sich die Handlung plötzlich und unerwartet. Aus der vermeintlichen Sicherheit New Yorks im Hier und Jetzt werden wir unerwartet in eine andere Welt versetzt.

Was ist real, was Phantasie? Eine Frage, mit der die Autorin geschickt spielt, und die dem Roman zusätzlich Spannung und Tiefe verleiht. In Kombination mit den liebevoll gezeichneten Charakteren und der gefälligen Sprache erwartet den Leser erneut ein Buch abseits ausgetretener Pfade, das zum Mitdenken, Mitfiebern und Träumen anregt – was will man von einem Jugendbuch mehr erwarten?