Robert Jackson Bennett: Mr. Shivers (Buch)
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- Veröffentlicht: Samstag, 06. August 2011 16:08

Robert Jackson Bennett
Mr. Shivers
(Mr. Shivers)
Aus dem amerikanischen übersetzt von Andreas Decker
Titelillustration: Kamil Vojnar
Piper, 2011, Paperback, 400 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3492267533 (auch als eBook erhältlich)
Von Carsten Kuhr
Die Vereinigten Staaten werden zu Beginn der 30er Jahre von einer bis dahin beispiellosen Rezession heimgesucht. Breite Bevölkerungsschichten werden arbeitslos, der ausbleibende Regen im Mittel-Westen führt zu Missernten, Hunger und Depression greifen um sich. Ganze Kleinstädte begeben sich auf die Suche nach einer neuen Heimat. „Gen Osten“ lautet das Motto der hungrigen, verzweifelten Arbeitslosen, vielleicht gibt es ja dort noch Arbeit.
Wir begegnen einem Mann, der anders als die Meisten nicht in Richtung der Ostküste unterwegs ist, sondern sich gen Westen wendet. Michael Connelly fährt als Hobo auf Güterwaggon mit, erbettelt Mitfahrgelegenheiten oder läuft, wenn es denn sein muss. Einst war er ein glücklicher Familienvater. Jetzt ist er auf der Suche nach dem Mörder seiner Tochter.
Von Memphis, Tennessee, aus bricht er auf, Mr Shivers, wie der geheimnisvolle Mann genannt wird, der eine Spur zerstörter Existenzen und Leid hinter sich zurücklässt, zu suchen. Auf seinem Weg trifft er auf Leidensgenossen, die ihm nach und nach ihre Geschichte erzählen. Immer ist es Shivers, der in eine scheinbar heile, ja idyllische Welt einbricht, und das Familienglück zerstört. Doch wer verbirgt sich hinter dem Namen, der allenfalls leise, meist bei Lagerfeuerschein geflüstert wird, und warum begeht der Unbekannte seine Taten? Zusammen mit seinen Weggefährten macht Michael sich auf, Rache zu üben – und scheinbar ist der Täter, der ihnen allen solch Leid zugefügt hat, ihnen nur wenige Tage voraus…
Der kürzlich mit dem Shirley Jackson Award ausgezeichnet Debütroman Bennetts fällt aus dem Rahmen. Wer eine plakative Horror-Handlung erwartet, der wird sich verwundert die Augen reiben.
Die erste Hälfte des Buches besteht aus einer wunderbar atmosphärisch dichten Beschreibung der Gefühlswelt der Menschen zur Zeit der Großen Depression. Die Hoffnungslosigkeit, die in den Zeltlagern um sich greift, ist deutlich zu spüren, und wird als Nährboden für Aggression und Wut, die sich auch immer wieder gegen Andere richtet, denen es genauso geht, beschrieben.
Wie selten zuvor hat mich der Autor in seine Gestalten, allen voran natürlich dem Protagonisten, hineingezogen. Die Beschreibung der inneren Leere, die dem Schock des Verlusts folgte, der Antrieb, Rache für das erlittene Ungemach zu suchen, fasziniert den Leser. Dazu gesellen sich dann die Geschichten derer, die unser Erzähler auf seiner Reise trifft. Immer sind dies Schicksale, die betroffen machen, auch und gerade, weil sie so nüchtern, auf den ersten Blick fast gefühlskalt, vorgetragen werden. Dass diese Sachlichkeit aber nur ein Ausdruck des Verlusts ist, dass die Erzähler mit der dadurch erreichten Distanz sich schützen wollen, wird immer wieder deutlich.
Mit einigen wenigen Sätzen gelingt es dem Autor, uns Gestalten einprägsam vorzustellen, uns die geschundenen Kreaturen wahrhaftig werden zu lassen. Das regt zum Nach- und Weiterdenken an, unterhält unspektakulär in einem handwerklich sehr bewusst eingesetzten Stil.