Nina Malkin: Ohnmächtig (Buch)

Nina Malkin
Ohnmächtig
(Swoon, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Kattrin Stier
Titelgestaltung von any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt nach dem Original von Simon & Schuster (Abbildung: Moment/cultura/Corbis; keplovo/istockphoto,com; Mauro Scarone/istockphoto.com)
rororo, 2011, Paperback mit Klappenbroschur, 414 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-499-21544-5

Von Irene Salzmann

Schon als kleines Kind hatte Dice Aussetzer und sah Dinge, die anderen verschlossen bleiben. Für die Ärzte ist die Diagnose eindeutig: eine leichte Form der Epilepsie. Schließlich ziehen die wohlmeinenden Eltern mit ihrer Tochter von New York in das verschlafene Nest Swoon, wo Dice zur Ruhe kommen soll. Während Mutter und Vater ihren Berufen nachgehen, lebt sie allein in einem großen Haus, und nur die Familie ihrer Tante hat ein waches Auge auf das Mädchen. Dank ihrer Cousine Pen gewöhnt sich die Außenseiterin schnell ein und hängt mit den angesagten Jugendlichen des Ortes ab.

Dann passiert es: Pen stürzt von einem Baum, ist ohnmächtig – und diesen Moment nutzt der Geist eines Erhängten, um in ihren Körper zu fahren. Fortan übernimmt Sinclair zu den unpassendsten Gelegenheiten immer wieder die Kontrolle und beschwört Missverständnisse und Ärger herauf. Als Dice begreift, was vorgeht, will sie Sinclair exorzieren. Das Ritual gelingt, aber die Probleme werden dadurch nicht geringer, denn sie verschafft ihm ungewollt einen eigenen Körper.

Sinclair nutzt sein Charisma und Magie, um die Bewohner von Swoon gegeneinander aufzuhetzen und Chaos zu verursachen. Obwohl er ein Homunkulus ist und Dice gehorchen sollte, ist ihre Macht über ihn gering. Wie kann sie ihn daran hindern, Rache an den Nachkommen jener Menschen zu nehmen, die einst seine Braut ermordeten, ihn als Täter verurteilten und henkten? Zu allem Übel ist sie auch noch verliebt in Sinclair und will ihn nicht verlieren …

Kennt man Meg Cabots sechsteilige „Susannah“-Serie (cbt), in der die übersinnlich begabte Titelheldin Jagd auf Geister macht, die nicht ins Jenseits überwechseln wollen, und sich in den Geist eines attraktiven Cowboys verliebt, der in ihrem Zimmer spukt, dann ahnt man, was einen in Nina Malkins Onshot „Ohnmächtig“ erwartet. Allerdings geht die Autorin des vorliegenden Buches um Einiges weiter als ihre Kollegin. Während Meg Cabot sich in erster Linie an romantische Leserinnen zwischen 13 und 16 Jahre wendet, die phantastische Bücher mögen, in denen eine rasante Handlung abgespult wird und einer sympathischen Hauptfigur pfiffige Kommentare in den Mund gelegt werden, aber alles in einem altersgerechten Rahmen bleibt, so spricht Nina Malkin Teenager und junge Erwachsene an, die eine härtere Gangart bevorzugen und die auch nicht in Ohnmacht fallen, wenn die Dinge beim Namen genannt werden.

Obwohl auch Susannah eine Menge durchmachen muss, ist sie letztlich eine behütete Tochter inmitten einer glücklichen Familie, verständnisvollen Freunden und einigen Eingeweihten. Die Konflikte, die sie lösen muss, fordern selten Todesopfer und gehen glimpflich aus. Ihre Amouren enden mit Küsschen und Händchenhalten. Dice hingegen ist ein Szene-Kid, das ab und zu über die Stränge schlägt, trinkt, kifft und Jungs ‚ausprobiert‘. Dadurch eignet sie sich nur bedingt als Identifikationsfigur – aber eine andere gibt es nicht. Aus ihrer Perspektive wird erzählt, wie sich ein Geist des Körpers ihrer Cousine bemächtigt, wenig später als Homunkulus mehr Unabhängigkeit gewinnt und seinen Plan vorantreibt, Rache an den Familien derer zu nehmen, die sein Glück zerstörten. Dice hat Mitleid mit Sinclair, verliebt sich in ihn und hält sogar noch zu ihm, als sie ihn als Feind erkennt, dem jedes Mittel recht ist, sein Ziel zu erreichen. Dazu gehört beispielsweise auch, Pen zu verführen, sie auf den Vater einer Mitschülerin anzusetzen und das Familiendrama im Hause einer anderen Freundin eskalieren zu lassen. Dice muss weitgehend allein mit dem Problem Sinclair fertig werden und findet lange kein Mittel, um Sinclair aufzuhalten. Was sie auch versucht, er schlägt ihr immer wieder ein Schnippchen, und so fällt die Auflösung anders aus, als man es erwartet hätte – und vermutlich ist nicht jede Leserin glücklich darüber. Allerdings ist das Ende angemessen und überzeugt.

Selbst wenn man den hier beschriebenen Exzessen der Jugendlichen skeptisch gegenübersteht und ihre ‚Späße‘ nicht für gut befindet, nimmt man an ihrem durchaus nachvollziehbaren Konflikten und Träumen Anteil und verfolgt voller Spannung die mysteriösen Geschehnisse in Swoon. Hat man Freude an Reihen wie „Susannah“, „House of Night“ oder „Vampire Academy“, wird man auch von „Ohnmächtig“ nicht enttäuscht.