Hennen, Bernhard: Alica (Buch)

Bernhard Hennen
Alica
Titelillustration von Jochen van Eden
Ueberreuter, 2010, Paperback mit Klappenbroschur, 332 Seiten, 14,95 EUR, ISBN 978-3-8000-5526-5

Von Carsten Kuhr

Im Jahre 2001 war es, da gelang es einem außerhalb des Fandoms damals noch kaum bekannter Autor, dem Stuttgarter Weitbrecht Verlag ein Manuskript für eine Hardcover-Publikation zu verkaufen. Nicht nur, dass Bernhard Hennen dieses Kunststück geschafft hat erstaunt, sondern auch, dass es sich bei dem Werk um einen Fantasy-Roman handelte.

Nun verbindet der Leser mit dem Wort Fantasy gemeinhin großgewachsene, spitzohrige Elfen, die in ihren unergründlichen Wäldern das Bogenschießen zur hohen Kunst erhoben haben. Weiteres beliebtes Motiv sind die kleingewachsenen Zwerge, die trinkfreudig und ehrbewusst unter den grandiosesten Gebirgen ihre Städte aus massivem Gestein meißeln. Allwissende Zauberer – Weiß- und Schwarzmagier – dürfen natürlich auch nicht fehlen. Doch dann kam da ein Bernhard Hennen daher und stellte eine Truppe von aufmüpfigen Kölner Heinzelmännchen, den Erlkönig – wer von unseren Pisa-geschädigten Schülern kennt den noch? – , Graf Cagliosto und eine mittelalterliche Schaukämpfertruppe in den Mittelpunkt seiner Handlung von »Nebenan«.
Warum ich Ihnen dies alles erzähle, wollen Sie wissen? Weil Bernhard Hennen einen weiteren Roman aus dieser so ungewöhnlichen Welt geschrieben hat. Keine richtige Fortsetzung ist es geworden, eher ein Roman, der sich auch einiger Figuren aus »Nebenan« bedient, aber ein herzerfrischendes Vergnügen allemal.

Alica, unsere 15jährige Protagonistin, besucht ihre Großeltern in der Eifel. In derem abgelegenen uralten Haus spukt es. Ein Geister-Falke geht um und treibt sein Unwesen. Kaum angekommen, begegnet auch Alica dem Falken und wird von einem strafversetzten Heinzelmann rekrutiert, den unsteten Geist nach »Nebenan« zu bringen. Doch die Rettungsaktion läuft nicht so unkompliziert ab, wie geplant. Zuerst macht Alica ein junger, 200jähriger Husarentrompeter Liebeskummer, und dann mischt sich auch noch die Dunkle Königin ein – gar nicht zu reden von einem Kobold-General, der der französischen Armee Napoleons das Fürchten lehrt.

Der Roman bietet sich ein wenig uneinheitlich dar. Zum einen haben wir, gerade auch im Vergleich zu »Nebenan« Szenen, wie etwa das Treffen Alicas mit der Dunklen Königin in der Welt der Märchenwesen oder die Reise als teilweise stofflicher Geist in die Vergangenheit die wirken, als ob sie aus einem der von den Gebrüder Grimm gesammelten Sagen entlehnt wären. Dem gegenüber stehen einige wenige Episoden, insbesondere zum Finale hin, in denen die zur Anwendung kommende Hochtechnologie der Heinzelmännchen die sorgfältig aufgebaute zauberhafte Stimmung abrupt kippt. Dieser Gegensatz wirkt auf mich dann auch wie ein kalter Guss.
Zwar gilt es auch im märchenhaften Part Schlachten zu schlagen, Konflikte zu lösen und gefahrvolle Abenteuer zu bestehen, doch all dies tritt über weite Strecken des Buches hinter die stimmungsvolle Geschichte einer unerfüllten Romanze zurück. Alica, die als jugendliche Identifikationsfigur gut gewählt ist, verliebt sich zweihundert Jahre in der Vergangenheit versetzt in einen französischen Husaren arabischer Abstammung.
Alle Leserinnen haben hier die Möglichkeit in die Haut Alicias zu schlüpfen. Ein wenig Exotik, viel Gefühl, dazu das traumartige Reich Nebenan sorgen für glänzende Augen und klopfende Herzen. Diese eigentlich unmögliche Love-Story, deren tragischen Ausgang scheinbar unausweichlich ist, beherrscht die Handlung, zog mich in ihren Bann. Ich zitterte mit Alica, bewunderte ihren Mut und ihr Opferbereitschaft und gönnte ihr die kleinen Triumphe, die sie errang. Auch ohne die Episoden mit den Heinzelmännchen hätte der Roman seine Leser gefunden und überzeugt.
So gerne ich auch die Gestalten aus »Nebenan« wiedergesehen habe, die auftretenden kleinen Wesen kommen für eine echte Reminiszenz oder Fortsetzung einfach zu kurz und wirken als fast schon störendes Beiwerk in einem gefühlvollen Märchen.