T. Kingfisher: Dornenhecke (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 06. Oktober 2025 09:39

T. Kingfisher
Dornenhecke
(Thorn Hedge, 2023)
Übersetzung: Elena Helfrecht
Cross Cult, 2025, Hardcover, 136 Seiten, 20,00 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Kennen Sie Dornröschen? Ja, Gebrüder Grimm - schlafende Prinzessin, böse Hexe, die sie verwunschen hat, ein Turm und ein Prinz, der sie wachküssen darf. Soweit bekannt, nehme ich an? Nun, bei T. Kingfishers Novelle sind die Ingredienzien dieselben, nur die Gewichtung ist eine ganz andere.
Unsere böse Zauberin wurde kurz nach der Geburt von den Feen in deren Reich entführt. Als Mensch im Feenreich aufzuwachsen - noch dazu unter Kröten - ist kein Spaß. Als sie nach Jahren in der Anderswelt den Auftrag erhält, den Wechselbalg, der ihren Platz eingenommen hat, mit einem Segensspruch zu ehren, geht alles schief.
Das Wiedersehen mit dem Vater und der sterbenden Mutter bringt sie so durcheinander, dass sie den Spruch falsch aufsagt - und schon sitzt sie in der Menschenwelt fest, schlimmer noch, sie muss als Wächterin über die Fee, die ihren Platz eingenommen hat, fungieren.
Jahrhunderte vergehen, bis ein Ritter von dunkler Gestalt die hinter Dornenhecken verborgene Burg entdeckt. Dass es der Sarazene weniger mit Schwert und Lanze hat, dafür aber seine Nase in Bücher steckt, macht ihn - interessant und gleichzeitig gefährlich.
Längst hat die Welt die Geschichte des im Turm schlafenden Prinzesschens vergessen - bis unser Ritter die alte Mär ausgräbt und den Fluch, den er unserer Krötling zuordnet, brechen will. Doch genau das darf nie passieren, sonst…
Kingfisher gelingt es, die Rolle der Erzählerin neu zu definieren. Nicht wie gewohnt und bekannt, die unschuldige Prinzessin, sondern die vermeintliche Hexe führt durch die Handlung. Sie erscheint dabei als verletzliche, unsichere junge Frau, die den Rückzug in ihr Dasein als Kröte dem menschlichen Leben vorzieht. Der Kontakt zu Menschen überfordert sie, Erfahrungen im zwischenmenschlichen Bereich fehlen ihr völlig. Erst durch die Begegnung mit dem Ritter wird sie gezwungen, ihr Leben, ihr Dasein und ihre Bindungen neu zu betrachten und zu hinterfragen. Dieser oft schmerzhafte Prozess der Selbstreflektion und Fortentwicklung des Selbstbildes und seiner Lebensziele hat die Verfasserin unauffällig, aber sehr einfühlsam beschrieben.
Die Erzählweise ist ruhig und getragen, die Sprache orientiert sich behutsam an der Märchen-Tradition. Trotz der Kürze des Textes sind die Figuren sorgfältig und mit spürbarer Zuneigung gezeichnet.
Die Ausgabe bei Cross Cult überzeugt zudem mit einer ansprechenden Ausstattung: Einbandfolierung und Lesebändchen verleihen der Novelle einen besonderen Akzent und heben sie aus der Fülle aktueller Veröffentlichungen hervor. Wer stimmungsvolle, dunkle Märchen-Adaptionen mit leisen Zwischentönen schätzt, wird hier eine lohnenswerte Lektüre finden.