Uwe Hermann: Die Tage nach dem Lärm (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 19. September 2025 08:28

Uwe Hermann
Die Tage nach dem Lärm
Titelbild: Timo Kümmel
Illustrationen: Chris Schlicht
2024, Paperback, 356 Seiten, 14,50 EUR
Rezension von Gunther Barnewald
Der sechste Band mit Storys und Novellen des begnadeten Erzählers Uwe Hermann enthält auf 350 Seiten insgesamt 16 Geschichten. Während 5 Geschichten etwas länger sind (zwischen 35 und knapp 60 Seiten), schwanken die kürzeren Texte zwischen 3 und knapp 20 Seiten. Erstaunlich, dass man aber aus der jeweiligen Länge gar nicht auf die Qualität der Erzählung schließen kann.
Wie eigentlich immer bei Hermann gibt es auch in dieser Sammlung keinen einzigen Ausfall, alle Geschichten sind gut bis sehr gut, allen liegen pfiffige Ideen zugrunde und alle sind sehr unterhaltsam erzählt. Egal ob es das dreiseitige Wunderwerk „Die Fremden“ ist (in der die Menschheit auf erhabene Weise zur Nebensache degradiert wird!), oder die wunderbar verrückte Novelle von den intelligenten Spielzeugen, die in einem scheinbar abgeschotteten Universum leben und auf der Suche nach den Menschen sind („2 Tage“). In letzterer versucht der Teddybär mit Knopf im Ohr, der als Privatdetektiv arbeitet, eine gefährliche Aufgabe zu übernehmen, denn die Suche nach den Menschen erweist sich bald als Odyssee und Himmelfahrtskommando...
Während „Die End-of-Life-Schaltung“ (erhielt den Kurd Laßwitz Preis 2024 für die beste deutschsprachige Kurzgeschichte 2023) und auch „Der letzte der Ersten“ zeigen, dass auch Roboter in Würde sterben können (und man als Leser hier nicht weniger ergriffen ist, als bei einem sympathischen menschlichen Protagonisten), hat man in „Die Nachrichtenmacher“ (erhielt den Kurd Laßwitz Preis 2023 für die beste deutschsprachige Kurzgeschichte 2022) scheinbar einen Algorithmus entwickelt, um die Zukunft vorher zu sagen. Als ein Familienvater dann erfährt, dass er morgen auf dem Arbeitsweg von einem Auto getötet wird, beginnt der Mann Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um zu überprüfen, ob die Voraussage wirklich immer und vollständig eintrifft und erfährt Erstaunliches und Erschreckendes...
Und während uns die Novelle „Wir von der kaiserlichen Reinigungskolonne“ in eine bizarre Cyberpunkwelt voller altmodischer Technik und bizarren Entwicklungen entführt (dabei allerdings etwas klischeehaft dick beim Happy End aufträgt), ist die letzte Novelle „Ein Stück Zukunft“ eine actionreiche Space Opera mit vielen guten Ideen und interessanten Handelnden.
Die vielleicht schwächsten Geschichten (was aber relativ ist, da die anderen Erzählungen so stark sind) sind die etwas brutale „Ein Loch im Keller“ (mit allerdings sehr überraschendem witzigen Plot am Ende) und die sehr bizarre (aber durchaus humorvoll-unterhaltsame) Satire „Der Chronist der Quirl“, in welcher sehr augenzwinkernd erzählt wird, wie unser Universum wohl entstanden ist (Au backe, kann man nur sagen!).
Und während die Titelgeschichte etwas an eine berühmte Story von Ray Bradbury erinnert (in der nach einem verheerenden Krieg nur die Roboter ihre Arbeit und Spiele fortsetzen) und dabei aber mit neuen Sichtweisen punkten kann, ist „Die Wettermaschine“ ebenfalls eine weitere eindrückliche Warnung vor den Gefahren des Klimawandels (dem auch hier keiner entkommt!).
Leider gehören auch die kurzen Storys „Eine Frage des Geldes“ (digital hochgerüstete Geldscheine spähen die Menschen aus und posten deren Geheimnisse alle im Internet) und „Die Aushilfswächter“ (elektronische Ersatzmenschen proben den Aufstand gegen ihre ungerechten menschlichen Herren und die allgegenwärtige Sklaverei, unter der die künstlichen Humanoiden leiden) nicht zu den Highlights dieser hervorragenden Sammlung, sind aber jederzeit lesenswert und mit jeweils 5-6 Seiten auch keine wirklichen „Lesehemmer“!
Zwei besondere satirische Leckerbissen sind dagegen die knapp jeweils 10seitigen Storys „Jenseits des Bretterzauns“ (weggeworfene aber nur in Teilen defekte intelligente elektronische Geräte wollen von einem Schrottplatz fliehen und schaffen es tatsächlich über den Zaun, nur um dort eine böse Überraschung zu erleben...) und „Die Aushilfsmenschen“ (in der paarungsbereite Singles nicht zusammen kommen können, da der allgegenwärtige Hedonismus anderer spaßlastiger Beschäftigungen dies auf beiden Seiten gnadenlos verhindert...).
Und schließlich ist da noch der fiese Beamte vom „Das Amt für Bürgererziehung“, der es den armen Bürgern der Zukunft so richtig schwer macht mit seinen staatlich verordneten Energiesparvorgaben, bei denen man eher den Eindruck hat, sie seien Ausdruck individueller Willkür und nicht wirklicher gesellschaftlicher Not.
Und so bietet auch die insgesamt sechste Kurzgeschichten-Sammlung des Autors wieder eine hervorragende Lektüre (empfehlenswert ist auch Hermanns Roman „Nanopark“) zum Lachen, Schmunzeln, Nachdenken, überrascht und amüsiert sein und vor allem, um großartig (und nie klischeehaft) unterhalten zu werden. Wer die anderen Storybände des Autors noch nicht kennt, dem seien auch diese wärmstens ans Herz gelegt, so wie dies auch Andreas Eschbach in seinem kargen Vorwort empfiehlt. Denn Uwe Hermann gehört zweifellos zu den besten deutschen Kurzgeschichten-Autoren überhaupt (und wer sich noch an herausragende anglo-amerikanische Storyschreiber der Vergangenheit erinnert, dem wird bestimmt eine gewisse Nähe Hermanns zum begnadeten R. A. Lafferty nicht entgangen sein!).
Ein Lob auch an Timo Kümmel für sein tolles Titelbild und an Chris Schlicht für ihre formidablen Illustrationen im Buch (hier hätte man sich als Leser sicherlich noch die eine oder andere mehr gewünscht!).