Natasha Pulley: Das Lied des Dionysos (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 26. August 2025 09:10

Natasha Pulley
Das Lied des Dionysos
(The Hymn to Dionysos, 2025)
Übersetzung: Michael Pfingstl
Hobbit Presse, 2025, Hardcover, 542 Seiten, 26,00 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
„Die andere Art von Schmerz ist das Unglücklichsein. Ich meine nicht vorübergehende Unzufriedenheit, sondern echtes Unglücklichsein, das anhält. Und… er hat denselben Grund. Er ist da, damit du aufhörst, die Dinge zu tun, die dich unglücklich machen, weil sie dich sonst eines Tages umbringen werden.“ (S. 367)
Ich erzähle die Geschichte so, wie sie sich zugetragen hat. Erwarten Sie also nicht irgendwelche schönen, lyrischen Sätze der Chronisten von mir - ich bin ein einfacher Mann.
Gestatten, Phaidros. Beileibe kein Barde, sondern ein gestandener Krieger. Einst, vor seinem Tod in der Schlacht, verbunden mit Helios, habe ich einem Baby mit erstaunlich blauen Augen das Leben gerettet. Vor Troja war das, nach dem Fall der Stadt. Die Mutter stammte aus königlichem Geblüt, der Vater - so munkelte man zumindest - soll Zeus höchstselbst gewesen sein.
Zurück zu mir. Troja war gefallen, wir fuhren heimwärts gen Theben. Pech - oder vielleicht ein Zeichen der Götter -, dass uns dort eine Dürre sondergleichen heimsuchte. Damit nicht genug, ging eine magische Seuche um, die gestandene Krieger tanzen und singen ließ, bis sie tot umfielen.
Mittendrin meine Wenigkeit, die Königin, mein Nachbar, die Hexe Dionysos, hinter dessen Äußerem sich weit mehr verbarg, als auf den ersten Blick erkennbar war. Meine Beziehung zu Dionysos ist - schwierig. Als Hexe weiß er um die Krankheiten sowohl des Körpers als auch des Geistes Bescheid, weiß, was zu tun ist, damit der Patient genesen kann.
Aber er weiß weit mehr als nur dies - ich vermute ja, dass er magische Kräfte sein Eigen nennt, mehr noch, dass er ein Gott ist, der sich mit uns Menschen entweder ein Spiel erlaubt oder etwas Bedeutsames erreichen will…
Natasha Pulley schreibt andere Bücher. Sie verfasst Romane, die auf leisen Sohlen daherkommen, die die Charaktere in den Mittelpunkt stellen und uns von deren ergreifenden Schicksalen berichten.
So erwartet uns auch hier kein großer Bericht über heldenhafte Schlachten, mutige Kämpfe und siegreiche Intrigen.
Pulley beginnt ihre Handlung, indem sie uns ihren damals fünfjährigen Jungen vorstellt und durch dessen Augen seine Erziehung, seine Prägung zum Gesäten - wie die Krieger genannt werden - schildert. Das passt zur Ära, der Antike, in der die Verfasserin ihren Plot ansiedelt.
Seine Erziehung, immer die Wahrheit zu sagen und die Ehre als höchstes Gut hochzuhalten, wird uns ebenso vermittelt wie die Toleranz, ja sogar Vorherrschaft gleichgeschlechtlicher Beziehungen unter den Gesäten.
Seine gute Tat soll sich auf sein Leben auswirken. Anders jedoch, als vielleicht erwartet, wird er von einer göttlichen Macht nicht einfach mit Reichtum oder Einfluss bedacht. Stattdessen lernt er einen faszinierenden Mann kennen. Eine Hexe oder ein Gott - vielleicht auch beides. Unser Erzähler ist sich nicht sicher. Doch es ist eine Figur, die ihn fasziniert und anzieht. Die sich anbahnende Beziehung ist geprägt von Ängsten, Widersprüchen, Unterstellungen - und sie trägt ein selbstzerstörerisches Element in sich.
Obwohl eigentlich wenig wirklich Dramatisches geschieht - ja, es gibt einige Auseinandersetzungen, die Bedrohung durch den Hunger, der zu scheitern drohende Handel mit den Ägyptern, um die Hungerkatastrophe abzuwenden, und den verschollenen Kronprinzen -, fesselt uns das Bild, das sich vor unserem inneren Auge entfaltet. Die Antike nimmt hier überzeugend Gestalt an, bietet uns eine einfühlsam und interessant angelegte Lebensgeschichte, die atmosphärisch dicht aufbereitet ist.
Sicherlich ist dies eine Lektüre, für die man sich Zeit und Muße nehmen sollte. Neben dem stimmigen Bild einer vergangenen Zeit und deren Eigenheiten - gerade auch in Bezug auf Ehre und Pflichterfüllung - begegnen uns wenige, dafür aber detailreich und tiefgründig gezeichnete Figuren, die uns in ihren Bann ziehen. So manches Mal musste ich beim Lesen innehalten, um einen Gedanken, eine Anregung zu reflektieren, zu hinterfragen und zu bewerten. Man kann den Roman allein zur Unterhaltung lesen und wird gut bedient. Man kann aber auch aus den Gedanken, den Anstößen, die unser Erzähler erhält, für sich selbst manche Fragen mitnehmen, Überzeugungen hinterfragen, eigenes Verhalten überdenken.
So ist dies ein Buch, das anders, leiser und ruhiger daherkommt als der typische Fantasy-Roman. Die phantastischen Motive sind sehr dezent eingestreut; der Verfasserin geht es mehr darum, uns ihre Figuren begreifbar und nachvollziehbar zu machen. Und das ist ihr auf höchst erstaunliche und respektable Art und Weise gelungen!