Wonderland 3: Flucht aus dem Wunderland (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 24. April 2011 12:01

Raven Gregory, Ralf Tedesco & Joe Brusha
Wonderland 3
Flucht aus dem Wunderland
(Grimm Fairy Tales: Escape from Wonderland, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Sandra Kentopf
Titelbild von J. Scott Campbell
Zeichnungen von Daniel Leister
Farben von Nei Ruffino
Panini, 2011, Paperback mit Klappenbroschur, 176 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-86201-085-1
Von Christel Scheja
„Flucht aus dem Wunderland“ ist der dritte und abschließende Band der „Wonderland“-Trilogie. Die Autoren haben den britischen Kinderbuchklassiker „Alice im Wunderland“ dabei in ein düsteres, grausames und blutiges Gothic-Märchen verwandelt, das Unschuld, Naivität und kindliche Phantasie bewusst pervertiert. Die Leseempfehlung „ab 16“ kommt daher nicht von ungefähr.
Alles beginnt damit, dass die Alpträume der jungen Caroll-Ann wahr werden. Sie findet sich im Wunderland wieder, das aber ganz anders ist, als sie es aus dem Buch in Erinnerung hat. Bevor sie jedoch dem düsteren Zauber ganz verfallen kann, greift ihre Mutter ein, indem sie ihr Leben opfert, damit Caroll-Ann entkommen kann. Nun weiß sie allerdings auch, dass die Welt hinter den Spiegeln sie niemals mehr loslassen wird, denn mit dem Selbstmord der Mutter beginnt das Grauen erst. Zunächst hat sie wiederkehrende Alpträume, dann entfesselt ihr Bruder Johnny die durch Kindesmissbrauch entstandene dunkle Seite seines Wesens. Caroll-Ann bleibt am Ende nichts anderes mehr übrig, als ihn ins Wunderland zu bannen.
Sie flieht mit ihrem Freund Brandon nach New York. Dort hofft sie, dem Grauen entkommen zu können, vor allem, weil sie nun auch weiß, dass sie ein Kind in sich trägt. Doch ihr Großvater macht Caroll Ann nur wenig Hoffnung. Er enthüllt ihr, dass sie die Nachkommin eines Geschlechts ist, das über das Wunderland wacht. Damit die Alptraumgeschöpfe, die dort hausen, nicht ausbrechen können, muss in jeder Generation ein unschuldiges Kind geopfert werden. Schon bald wird auch dieser Alptraum wahr, denn kurz nachdem sie ihre Tochter zur Welt gebracht hat, wird das Kind von Johnny entführt. Er ist in die Rolle des verrückten Hutmachers geschlüpft und scheint mit der Raupe und der Grinsekatze einen Pakt geschlossen zu haben. Doch sie rechnen nicht mit der Entschlossenheit einer Mutter. Caroll-Ann erklärt dem Wunderland den Krieg und taucht noch einmal in die Spiegel ein, um als blutrünstige Kriegerin Rache für den Tod ihrer Freunde zu nehmen und sich ihr Kind um jeden Preis zurückzuholen. Dabei nimmt sie es auch in Kauf, sich in ein Meer aus sehr realen Alpträumen zu stürzen und bald nicht mehr unterscheiden zu können, was Wirklichkeit und was Phantasie ist. Denn leider weiß sich auch das Wunderland zu wehren.
Mehr als die beiden anderen Teile ist „Flucht aus dem Wunderland“ ein Horrorszenario, das in Blut, abgeschlagenen Körperteilen und herausquellenden Gedärmen watet. Denn die Heldin ergibt sich ganz den paranoiden und schizophren Phantasien und Szenarien, so dass die wenigen friedlichen Momente eher wie Fremdkörper wirken und vermutlich auch nur Illusion sind. Auch der Leser wird mitgerissen, kann schon bald nicht mehr auseinanderhalten, was nun wie und warum passiert. Das macht die Graphic-Novel über weite Teile etwas kryptisch und stellenweise sogar verwirrend. Am Ende lösen sich diese Schwierigkeiten aber glücklicherweise auf, weil alles zumindest einen gewissen Sinn erhält, wenn auch keinen wirklich nachvollziehbaren – denn was das Wunderland so geprägt und pervertiert hat, bleibt weiterhin im Dunklen und man kann es letztendlich nur ahnen.
Erotische Szenen gibt es diesmal keine – der Band ist einzig auf das Verlangen einer Mutter konzentriert, ihr Kind wiederzubekommen – und da kennt Caroll-Ann keine Zurückhaltung mehr. Man merkt, dass sie selbst das Wunderland lange genug verinnerlicht hat und die letzten Reste ihrer Zurückhaltung abwirkt. Immerhin fügt sich der dritte Teil nahtlos an die anderen, hat der zweite die Orgie an Gewalt und Splatter ja schon vorbereitet. Allerdings ist der Abschlussband dadurch nichts mehr für Zartbesaitete, da die Grausamkeit und Gewalt auf die Spitze getrieben werden – und zwar von beiden Seiten.
Die Zeichnungen sind sehr dynamisch und setzen das Grauen gekonnt in Szene, sodass es im Zusammenspiel mit kalten oder gedeckten Farben noch besser zur Geltung kommt.
Alles in allem bietet „Flucht aus dem Wunderland“ einen passenden Abschluss, wenngleich dieser ebenfalls nicht an den Auftaktband herankommt, da der Geschichte erneut ein tieferer Sinn fehlt. Doch wer zynische Horror-Stories mit Splatter und einer ansehnlichen Heldin in Lack und Leder mag und nicht unbedingt nach hintergründigen Aussagen suchen will, der wird mit dem Band mehr als zufrieden sein.