Christy Brown Der Geilheit ergeben (Buch)

Christy Brown
Der Geilheit ergeben
Blue Panther Books, 2024, Taschenbuch, 158 Seiten, 12,90 EUR

Rezension von Irene Salzmann

Die Autorin mit dem Pseudonym Christy Brown ist Jahrgang 1985 und verrät von sich, ein eher unruhiger, erlebnishungriger Geist zu sein, dessen Erfahrungen und Phantasien offenbar in die Kurzgeschichten und Romane einfließen. Lässt man sich nicht von dem nichtssagenden Titel „Der Geilheit ergeben“ abschrecken, der nach 08/15-Sex klingt, wie man ihn schon x-mal gelesen hat und postwendend vergisst, wird man überaus angenehm überrascht.


Der Roman beschreibt das Aufeinandertreffen von drei grundverschiedenen Frauen, in deren Leben gerade etwas passiert ist, mit dem sie nicht gerechnet haben und wodurch ein „Weiter so“ unmöglich wird, sie dringend eine Auszeit oder Veränderung brauchen.

Die Hamburger Regisseurin Mathilde besetzt für ihre moderne Inszenierung von „Romeo und Julia“ den Titelhelden mit einem kapriziösen Wiener Schauspieler, der sie prompt über das Arbeitsverhältnis hinaus zu interessieren beginnt und der seinerseits von ihr fasziniert ist. Auf das, was er ihr anvertraut und offeriert, kennt sie nur eine Antwort.

Begleitet wird Mathilde von ihrer Nichte Melina, ein Hippie-Mädchen, die regelrecht aus Spanien geflohen ist, weil sie sich wider Erwarten in einen Mann verliebt hat, mit dem und ihrer Freundin Sophie sie eine Dreiecksbeziehung einging. Als sie sich ihre Gefühle endlich eingesteht, ist sie bloß noch das fünfte Rad am Wagen, der Fehler nicht mehr korrigierbar.

Beiden begegnet die Angestellte Lilly, die gleichfalls ihren Flug verpasst hat. Kaum hatte sie sich in einem Berliner Club von einem Mann für ein erotisches Abenteuer aufgabeln lassen, stellt sich eine bittere Erkenntnis ein.


Wie in Boccaccios „Dekameron“ oder Basiles „Das Pentameron“ vertreiben sich in der Rahmenhandlung Mathilde, Melina und Lilly die Wartezeit auf den nächsten Flug, indem sie einander abwechselnd Geschichten erzählen - die Geschichte, die den Anlass lieferte, in Verona Abstand gewinnen und neu anfangen zu wollen. Verona wiederum ist der Ort des Dramas um „Romeo und Julia“, in deren Rollen die Frauen und ihre Partner im übertragenen Sinn schlüpften. Dabei bedient sich die Autorin des beliebten Stilmittels, an einer spannenden Stelle die Schilderung abzubrechen und eine andere Protagonistin zu Wort kommen zu lassen.

Genau genommen sind nur Milena und Lilly schwer enttäuscht worden und möchten vergessen. Mathilde hat etwas andere Beweggründe, muss jedoch ebenfalls etwas verdauen und weiß, dass ihr die Tragödie noch bevorsteht. Mehr zu verraten, würde Vieles vorwegnehmen.

Es gelingt Christy Brown sehr gut, die von verschiedenen Milieus, Lebensentwürfen und altersbedingten Erfahrungen geprägten Frauen zu charakterisieren und sie trotz ihrer Individualität auf einen Nenner zu bringen, sie zu Freundinnen und Vertrauten zu machen, die Verständnis für die jeweiligen Situationen der anderen haben und nicht über sie urteilen.

Natürlich kommt der Sex nicht zu kurz, ein Hauptanliegen des Blue-Panther-Books-Publikums. Obwohl es nicht an grafischen Beschreibungen mangelt, wird auf unnötige Derbheit verzichtet, sodass sich diese wie kleine Sahnehäubchen nahtlos in die Gesamthandlung einfügen. Mathilde weiß, was sie will und wie sie es bekommt. Lilly überwindet endlich ihre Hemmungen und wird enttäuscht. Melina gibt sich naiv der freien Liebe hin wie zu besten Bhagwan-Zeiten und hat ihren Verlust gar noch selbst herbeigeführt.

Man muss sich nicht mit den Figuren identifizieren oder ihre jeweilige Lebensweise und ihr Handeln (insbesondere die Verharmlosung von Drogen) gut finden, doch zeichnen sie sich durch ihre glaubwürdigen Schicksale aus und senden an etwaige Leser, die gleichfalls Enttäuschungen hinter sich haben, die Message: ‚Du bist nicht allein, unternimm etwas, das dich darüber hinwegbringt‘.

Tatsächlich fällt Christy Browns „Der Geilheit ergeben“ vor allem durch die Idee, sich für Aufbau und Thema Inspiration bei den genannten Klassikern zu holen, positiv auf. Ferner hebt sich das Buch durch die flüssige, spannende Ausführung und die interessanten Protagonisten vom breiten Einerlei der erotischen Romane erfreulich ab - schade, dass der dröge Titel dem Inhalt gar nicht gerecht wird.

Dies ist eine der Geschichten, die man gern einem Publikum empfiehlt, das mehr von einem erotischen Buch erwartet als die schon sattsam bekannten Bettgeschichten der Marke „Schema F“ mit austauschbaren Figuren und Hintergründen.