McDevitt, Jack: Übersetzungen aus dem Kolosianischen (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 23. Januar 2010 00:00
Jack McDevitt
Übersetzungen aus dem Kolosianischen
(Standard Candles, 1996)
Aus dem Amerikanischen von Andreas Irle
Mit einem Vorwort vom Autor, von Charles Sheffield und einem Nachwort von Andreas Irle
Edition Andreas Irle, 2009, Hardcover, mit kaschiertem Papierbezug, in doppelt gelumbackter Klebebindung, Auflage 150 Exemplare, nummeriert, 344 Seiten, 29,00 EUR, ISBN 978-3-936922-11-0
Von Gunther Barnewald
Was vom Titel her an ein Sachbuch erinnert (andere Titel wie »Standardkerzen«, »Zur Hölle mit den Sternen« oder »Zeitreisende sterben nie« wären hier sicherlich griffiger gewesen), ist die erste in Deutschland vorliegende Sammlung kürzerer Texte des begnadeten US-amerikanischen SF-Autors Jack McDevitt.
»Übersetzungen aus dem Kolosianischen« enthält 15 Kurzgeschichten und eine Novelle, von denen nur vier Storys bisher in Deutsch erschienen sind (drei bei Heyne, eine im Ullstein Verlag).
Herausgeber Andreas Irle unternimmt hier, erstmals nach vielen Titeln seiner Jack-Vance-Edition, den Versuch, einen anderen Autor in Deutschland zu veröffentlichen, was sehr löblich ist, wären die Kurzgeschichten doch sonst wohl nie hierzulande erschienen, da die Leser Kurzprosa kaum noch zu schätzen wissen. So hatte Bastei-Lübbe, der Hausverlag des Amerikaners, wohl kein Interesse, was ob der Qualität der Texte bedauerlich ist.
Extra für diese Ausgabe hat Jack McDevitt sogar ein Vorwort verfasst, dem dann noch das Vorwort der amerikanischen Ausgabe von Charles Sheffield folgt.
Alle Geschichten zeigen auf, dass McDevitt ein genialer Schriftsteller ist, der glaubhafte, komplexe Protagonisten und dichte, emotionalisierende Atmosphären erschaffen kann und diese zudem mit ausgefeilten Ideen verbindet.
Bereits die erste Geschichte, »Standardkerzen«, zeigt dies eindrücklich. Vordergründig die traurige Erzählung eines Wissenschaftlers, der ob fehlender Genialität an seinen hochgesteckten Zielen scheitert und so beruflich Schiffbruch erleidet, vollzieht sich vor den erstaunten Augen des Lesers wie nebenbei noch ein viel bedrückenderes privates Scheitern des Mannes, welches ihm seine Liebe und Ehe kostet, ohne dass dem Protagonisten dies wirklich bewusst ist. Dass dabei auch noch eine interessante Geschichte erzählt wird, ist bei Jack McDevitt selbstverständlich.
Selbst einem kurzen Text wie »Schwarz am Zug« entlockt der Autor ein maximales Niveau der Spannung und des Grauens, wenn man den Plot der Story versteht.
Und egal ob sich ein Priester mit einer Computersimulation eines verstorbenen Heiligen anfreundet und ihm einen würdevollen Tod gönnt (»Gus«), oder ein erfolgloser Schriftsteller ein überaus verlockendes Angebot erhält, welches er in nahezu blasphemischer Weise ablehnt (»Zweigstelle Fort Moxie«), fast immer paaren sich bei McDevitt stilistische Brillanz mit überzeugenden Ideen und dem berühmten sense of wonder.
Lediglich die kurze und etwas krude wirkende Story »Gezeiteneffekte« und die triviale Novelle »Zeitreisende sterben nie«, die zwar unterhaltsam ist, dem Thema Zeitreisen aber keine wirklich neuen Aspekte abgewinnt (wofür McDevitt aber eigentlich bekannt ist, selbst wenn er scheinbar ausgelutschte Themen aufgreift, so wie das Thema Erstkontakt in seinem gleichnamigen Roman), fallen etwas ab inmitten grandioser Kabinettstückchen. Eines davon ist »Zur Hölle mit den Sternen«, in der McDevitt eine Zukunft schildert, in der einerseits der Traum die Sterne zu erreichen scheinbar begraben wurde, um ihn dann in der letzten Wendung der Erzählung um so mächtiger wieder aufleben zu lassen und dabei noch eine huldvolle Verbeugung vor dem Genre Science Fiction und ihren berühmtesten Autoren einfließen zu lassen (und damit sicherlich offene Türen bei den Fans einzurennen).
Aber selbst unwahrscheinliche Wendungen wie die zeitlose Reise ohne Maschinenhilfe zwischen den Sternen, geschildert in der Titelgeschichte, werden vom Autor dermaßen magisch in Szene gesetzt, dass der Leser ob der zauberhaften Wendungen der Erzählung vergisst, wie unglaubwürdig die eigentliche Prämisse ist.
Und wenn ein verhinderter Zeitreisender angesichts eines amoklaufenden Priesters mit einem genialen Schachzug die letzte Möglichkeit ergreift, sein Leben zu retten, wie in »Kreuzen durch das Deuteronomium« geschildert, dann versteht auch der letzte Leser, warum besonders Kurzgeschichten von vielen Fachleuten als die eigentlich Domäne der Science Fiction begriffen werden.
Immer wieder ist die Begegnung des Menschen mit sich selbst und dem Fremden in uns das eigentliche Thema des Autors. So ist jedes vermeintliche Treffen mit Aliens nichts anderes, als der Blick in unsere eigenen Abgründe und Fehler, aber auch in die Wunder unserer Existenz; dies zumindest die Botschaft vieler der hier enthaltenen Geschichten.
Wer die Romane dieses begnadeten Schriftstellers liebt und wertschätzt, der sollte sich die hier vorliegende wunderbare Sammlung kürzerer Texte nicht entgehen lassen, die eindrucksvoll zeigt, dass Jack McDevitt einer der herausragendsten Autoren des Genres ist.