Jeffrey Thomas: Das Fleischmeer / Scott Thomas: Das Aschemeer (Buch)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 20. Januar 2025 09:34

Jeffrey Thomas
Das Fleischmeer
(The Sea of Flesh, 2011)
Scott Thomas
Das Aschemeer
(The Sea of Ash, 2011)
Übersetzung: Eva Bauche-Eppers
Innenillustrationen: Björn Craig
Wandler, 2024, Hardcover, 250 Seiten, 60,00 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Es ist schon einige Zeit her, dass Sean Wallace, Herausgeber beim US-Verlag Prime Books, beim Betrachten einer Grafik des Künstlers Travis Anthony Soumis die Idee hatte, dass die Brüder Jeffrey Thomas und Scott Thomas zu dem Motiv „Dreams are Dark“ jeweils einen eigenen Kurzroman schreiben könnten.
Gesagt, getan, die Brüder stürzten sich mit Feuereifer auf die optische Anregung der Frau, die mit seitlich ausgestreckten Armen am Strand liegt, im Hintergrund ein archaischer Tempel der sie einzusaugen scheint, und ließen sich von der Illustration zu zwei ganz unterschiedlichen Werken inspirieren.
Im Original dauerte es lange, bis beide Erzählungen, wie ursprünglich geplant, zusammen in einem Buch veröffentlicht wurden, jetzt legt Wandler eine auf 150 Stück limitierte und nummerierte Übertragung ins Deutsche vor.
Vor Jahrzehnten hatte der US-Verlag ACE die geniale Idee, zwei Romane, beide wechselseitig verdreht, zwischen einen Einband zu packen. Je nachdem welche Seite dem Leser zugewandt ist, hat man ein anderes Buch inklusive Cover - die so genannten ACE Doubles standen auch vorliegend Pate bei der Aufsehen erregenden, entsprechenden Wandler-Publikation.
Obwohl die digitale Grafik, die beiden Novellen zugrunde lag, dieselbe war, könnten die beiden Kurzromane inhaltlich kaum unterschiedlicher sein.
Jeffrey Thomas hat seine Handlung im modernen Salem angesiedelt. Wir lernen die junge Dot kennen, die sich, obzwar mit vietnamesischen Wurzeln, als Amerikanerin sieht und noch ihren Platz in der Gesellschaft sucht. Sie kellnert in einem Restaurant am Meer, an dem eines Tages ein unförmiger, riesiger Leichnam angeschwemmt wird. Ihre Mutter, die seit der Heirat von ihrem Ehemann missbraucht und gedemütigt wird, arbeitet als Krankenschwester in einem Pflegeheim, in dem sie Lee, der regelmäßig seine demente Mutter besucht, kennenlernt. Das Besondere ist, dass Dot und Lee, obwohl sie einander noch nie begegnet sind, wiederkehrend einen gemeinsamen, äußerst merkwürdigen Traum träumen…
Diese Novelle fußt auf zwei Stützen: die wenigen dafür interessant beschrieben Charaktere, in die sich der Leser gut hineinversetzen kann, und die surreale Welt des Traums, die mit jeder Nacht vielschichtiger und unheimlicher wird. Die tragische Geschichte, die uns erwartet, ergriff mich insbesondere wegen der unauffälligen, dafür aber gerade wegen der zurückhaltenden Schilderung der Vorkommnisse, der ergreifenden Schilderung der häuslichen Gewalt. Auch Worte können tief verletzen - eine gequetschte Hand vermag vielleicht nicht die Spuren einer brutalen Verletzung zurücklassen, das Opfer aber leidet nichtsdestotrotz massiv.
Kommen wir zum zweiten Kurzroman, Scott Thomas‘ „Aschemeer“. Im Gegensatz zu seinem Bruder wählt der Verfasser einen fast schon klassisch, im Sinne von H. P. Lovecraft zu nennenden Ansatz.
Als Erzähler begegnet uns ein Mann, der dank des Lotterie-Glücks sein Dasein ohne wirtschaftliche Zwänge gestalten kann. Durch sein Vermögen vermag er seinem Hobby, dem Suchen, Auffinden und Studieren von alten, seltenen und damit teuren esoterischen Werken, nachzugehen. Auf einer Entdeckungsfahrt begegnen ihm in ihren schriftlichen Aufzeichnungen Dr. Pond, ein aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrter Arzt, sowie der Brite Simon Brinklow, der in der Kolonialzeit Neuengland besuchte. Über Hinweise kommen alle drei Männer zu ihrer jeweiligen Zeit etwas Unerklärlichem, etwas Merkwürdigem, etwas Dunklem auf die Spur. Die Reise führt, angeleitet durch einen beschworenen Geist, über Tore in andere, gefährliche, ja tödliche Dimensionen - bis hin zu einem sechsten Ozean.
Die Novelle lässt sich unschwer den Lovecraft-Nacheiferungen zuordnen, offeriert aber, und dies schildert der Herausgeber des „The Lovecraft eZine“ in seinem Vorwort zutreffend, eine Variation des Cosmic Horrors, die zu den fesselndsten Werken des Sub-Genres gehört, die ich gelesen habe.
Der Plot selbst ist geradlinig aufgebaut, nutzt die übernatürlichen Begegnungen mehr zaghaft als plakativ, lässt uns den Spuren, die die beiden Forscher hinterlassen haben, fasziniert folgen. Das hat jede Menge Flair, Überraschungen satt und gruselige Spannungsmomente. Ich muss zugeben, dass mich dieser Part des Buches mehr in seinen Bann geschlagen hat, als der andere - wobei auch diese Geschichte wahrlich nicht schlecht geschrieben ist. „Aschemeer“ aber steht in der Nachfolge des Lovecraft‘schen Mythos, biedert sich dabei nicht dem Vorbild an, sondern erzählt seine eigene, spannende Geschichte.
Wie wir dies von Wandler kennen, ist das Buch handwerklich vorzüglich gestaltet, so dass der Preis angesichts des Gebotenen - vier Farbillustrationen sowie ein beigefügter, nummerierter Kunstdruck - angemessen ist.