Victor Hugo: Der Glöckner von Notre Dame (Buch)

Victor Hugo
Der Glöckner von Notre Dame
(Notre-Dame de Paris, 1831)
Übersetzung: Sandra Miehling
Titelbild und Innenillustrationen: Anna Frohmann
arsEdition, 2024, Hardcover, 496 Seiten, 30,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Auch heute noch, beinahe 200 Jahre, nachdem Victor Hugo seinen großen Roman um Liebe, Missgunst und Leidenschaft 1831 erstveröffentlicht hat, ist die Handlung vielen Lesern geläufig, ergreift diese bei der Lektüre unwillkürlich das Mitleid mit dem buckeligen Glöckner mit dem großen Herz.

Der Plot dürfte bei solch einem Klassiker weitgehend bekannt sein; Ort der Handlung ist Paris im 15. Jahrhundert. Die Geschichte dreht sich um den buckligen Glöckner Quasimodo, die schöne Zigeunerin Esmeralda und den inneren Konflikt des Erzdiakons Claude Frollo.

 

Quasimodo ist ein entstellter, tauber Mann, der als Glöckner in der Kathedrale Notre-Dame lebt. Er wurde von Claude Frollo, dem Erzdiakon von Notre-Dame, aufgenommen und erzogen. Frollo ist ein strenger, verbitterter Mann, der von religiösem Fanatismus und unkontrollierbaren Leidenschaften getrieben wird. Als dieser sich in die junge Zigeunerin Esmeralda, die in Paris als Tänzerin auftritt, verliebt, beginnt das Verhängnis.

Esmeralda zieht viele Bewunderer an, darunter neben Frollo, der von einer düsteren, obsessiven Liebe zu ihr ergriffen wird, auch den Hauptmann Phoebus. Frollo, getrieben von seiner unheiligen Begierde nach Esmeralda, befiehlt Quasimodo, sie zu entführen. Der Plan misslingt, Phoebus rettet Esmeralda. Quasimodo wird gefangengenommen und öffentlich ausgepeitscht. Esmeralda offenbart ihr Mitgefühl und gibt ihm Wasser, was in ihm tiefe Dankbarkeit und Zuneigung weckt.

Als Frollo seine Angebetete nicht für sich gewinnen kann, wendet er sich, schwer enttäuscht und innerlich verletzt, gegen sie. Als Esmeralda und Phoebus sich heimlich treffen, wird Phoebus von Frollo aus Eifersucht niedergestochen, doch Esmeralda wird für den Angriff verantwortlich gemacht und verurteilt. Kurz bevor sie hingerichtet werden soll, rettet Quasimodo sie und bringt sie in die Kathedrale Notre-Dame, wo sie Zuflucht vor der Strafverfolgung findet. In Notre-Dame versucht Quasimodo sie zu beschützen, doch das Schicksal nimmt eine tragische Wendung. Frollo verrät Esmeraldas Versteck. Sie wird erneut gefangengenommen und hingerichtet.

Quasimodo, der dies nicht verhindern kann, ist am Boden zerstört. In einem Akt der Verzweiflung und Wut stößt Quasimodo Frollo vom Turm der Kathedrale in den Tod. Danach verschwindet Quasimodo. Später wird sein Skelett in der Nähe von Esmeraldas Grab gefunden - er hat sich in den Tod begeben, um bei ihr zu sein.


Der Roman behandelt wichtige, zeitlose Themen: Macht und deren Ausübung, das Schicksal als treibende Kraft sowie die zerstörerische Kraft der unerwiderten Liebe. Die sich scheinbar unausweichlich anbahnende Tragödie, die Tiefe der Gefühle - sei es Zuneigung, Liebe oder Hass -, fängt der Verfasser wunderbar intensiv und gleichzeitig berührend ein. Daneben beschreibt Victor Hugo eindrucksvoll das mittelalterliche Paris, besonders die Kathedrale Notre-Dame, die im Zentrum der Geschichte steht und eine symbolische Bedeutung für die Handlung hat.

Der Roman gilt zurecht als einer der großen Klassiker der modernen Literatur und nimmt innerhalb der Romantik eine herausragende Sonderrolle ein. Die Romantik betonte Emotionen, Individualität und das Schicksal von Außenseitern. „Der Glöckner von Notre-Dame“ verkörpert diese Ideale durch die extremen Emotionen (Liebe, Besessenheit, Hass), die Gegensätze des Lebens (das Äußere Quasimodos im Kontrast zu seiner Güte und Zuneigung) sowie die soziale Ächtung sozialer Randgruppen. Während dies bei dem verwachsenen Quasimodo offensichtlich ist, urteilt die Gesellschaft auch bei der Fahrenden Roma Esmeralda. Ergänzend prangert Hugo neben der Ausgrenzung von Randgruppe auch soziale Missstände an, die sich in Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Vorurteilen gegenüber diesen manifestiert. Hierbei spielt auch die Kirche keine ausgleichende Rolle, ordnet sich dem Denken der Honoratioren unter, ja missbraucht ihre Macht.

Mit eingeflochten hat der Autor die Frage, ob man seinem vorherbestimmten Schicksal entgehen kann, ob man im Leben wirklich frei ist, oder ob alles determiniert ist. Die Figuren scheinen in einem Netz aus Schicksal und gesellschaftlicher Unterdrückung gefangen zu sein. Trotz ihrer Bemühungen können weder Quasimodo noch Esmeralda ihrem tragischen Schicksal entkommen.

Nun kennen wir den Roman aus zahlreichen Veröffentlichungen. Die Frage ist schlicht: Braucht es eine weitere Publikation? Die Antwort ist denkbar einfach. Wenn die Neuausgabe derart liebevoll gemacht ist wie die vorliegende, die die Handlung mit den zahlreichen Farbillustrationen kongenial umsetzt und die zugrundeliegende Frage, derart aktuell und imminent ist, dann ein entschiedenes Ja.

Das Buch weiß zu überzeugen - inhaltlich durch seine Tiefe, äußerlich durch die bibliophile Gestaltung und die grafische Umsetzung.

Anna Frohmann hat in ihren vielen ganzseitigen wie kleinen Farbillustrationen erfolgreich versucht, die Orte und Handlung einzufangen. Neben dem wunderbar passenden, geprägten Cover erwarten uns auf den teilweise farblich getönten Seiten kleine wie große Vignetten und ganzseitige Malereien. Stilistisch großzügig und großformatig ausgeführt, schwelgt sie manches Mal in Farben, dann wieder konzentriert sich die Künstlerin auf einzelne Handlungsbestandteile und stellt diese bildlich dar.

Als Gesamtkonzept überzeugt das Buch durch seine innere, wie äußerliche Qualität. So ist dies erneut eine rundum gelungene Prachtausgabe der „Bibiotheka Obscura“, die dem bekannten Text durch die wunderbaren Illustrationen neue Facetten abgewinnt, den Inhalt optisch bereichert und das Herz eines jeden Bücherliebhabers höherschlagen lässt.