Daedalos - Der Story-Reader für Phantastik 15 (Buch)

Daedalos - Der Story-Reader für Phantastik 15
Titelbild: Henry J. Ford
p.machinery, 2024, Paperback, 84 Seiten, 15,90 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Hurra, die neue, die 15. Ausgabe von „Daedalus“ ist erschienen. 1994 erblickt der Story-Reader für Phantastik das Licht der Welt. Verleger Hubert Katzmarz und Autor Michael Siefener, später ergänzt durch Andreas Fieberg, legten bis 2002 ein Dutzend Ausgaben des Magazins vor, das Maßstäbe setzte. Das Who is Who der deutschsprachigen Phantastik-Szene veröffentliche hier ihre herausragenden Erzählungen, die jeweils kongenial durch und mit Illustrationen alter Meister auch optisch umgesetzt wurden.

Nach dem Tod Katzmarz‘ wurde das Magazin eingestellt, erlebte dann bei p.machinery mit einer ganz ungewöhnlichen äußeren Gestaltung im Zweispaltensatz in einem Auswahlband der besten Beiträge des Magazins eine kleine Renaissance. Die Mini-Hardcover-Ausgabe des von Ellen Norton und Michael Siefener herausgegebenen Bandes "Deadalos 1994 - 2002" ist längst vergriffen, die Paperback-Ausgabe sowie das eBook sind weiterhin erhältlich und lohnen sich meines Erachtens sehr.

Dies vorausgeschickt dürfen wir uns nun der neuen Ausgabe zuwenden. Äußerlich bleibt alles im gewohnten Bild, sprich: übergroßes Format, Zweispaltendruck und klassische, zu den jeweiligen Beiträgen passende Innenillustrationen prägen den äußeren Eindruck des Bandes.


Zehn Geschichten nebst einer Nachbemerkung von Robert N. Bloch zum letzten Beitrag erwarten den Rezipienten.

In Alexander Klymchuks „Materialschlacht“ geht es um Unfälle - bekannte Havarieren -, etwa der „Titanic“ oder der „Hindenburg“, aber auch Verkehrskollisionen; sie alle verbindet etwas, wie ein findiger Privatdetektiv im Auftrag einer Versicherung herausfindet…

Schmerz ist etwas Fürchterliches. Jeder, der einmal länger oder gar dauerhaft von Schmerzen heimgesucht wurde, weiß, wie schlimm diese sind, wie sie das Leben, die Lebensfreude massiv einschränken. In Gabriele Behrends „Des einen Leid“ lernen wir eine Frau kennen, die einer Anzeige folgt und hofft, dass ihr endlich geholfen werden kann - doch hätte eine solche Heilung vielleicht auch Folgen.

Mitherausgeberin Ellen Norten erzählt uns in ihrem Beitrag, „Tee in Batumi“, von einer gar merkwürdigen Bedürfnisanstalt, die in Grusinien am Schwarzen Meer aufzufinden ist. Hier, in einer Region, in der die besten Tees der Welt angebaut werden, hat man, so einen der Drang sich zu erleichtern überfällt, die Möglichkeit durch eine Tür zu treten, die sich zu einem ganz besonderen, einem anderen Ort öffnet.

Peter Schünemann stellt uns in „Der Friedhofswächter“ einen jungen Mann vor, der verlassen wurde. Auf seiner Odyssee nach dem Trennungsschmerz kommt er auf einen Friedhof, auf dem er Schatten kennenlernt, die ihm ihrem jeweiligen Verrat beichten.

Die „Oneironautik“ steht in Achim Kochs Beitrag im Zentrum. Sie wissen nicht, was das sein soll? Nun, ein Vortrag verrät mehr. Es geht darum, seine Träume zu steuern…

Simon Gottwald nutzt das altbewährte Motiv des verlassenen Geisterhauses, um uns in „Fenster“ von drei Jungen, fast schon Erwachsenen, zu berichten, die eine Mutprobe ablegen - mit zum Teil drastischen Folgen.

Was wäre, wenn Menschen einen Blick in ihre Zukunft bekämen? Eine Frage, der stok in „Handverlesen“ nachgeht.

In Horst-Dieter Radkes „Der tolle Jan und die verlorene Seele“ geht es einmal mehr um die alte Mär vom Teufel, der für den Preis einer Seele einen Herzenswunsch erfüllt. Ein begnadeter Geiger will noch besser werden - und muss am Ende seines Lebens doch einsehen, dass…

Auch und gerade Männer der Kirche fehlen. Davon berichtet Scipio Rodenbücher in „Die Rose des S.“ Ein Priester, der ein dunkles Geheimnis hinter einer Mauer hütet, steht im Zentrum.

Arno Hach schließlich beendet der Reigen der Geschichten mit seiner Erzählung „Der Vampyr - Ein Notturno“ über einen der Untoten, der, als er den Sarg seiner Geliebten öffnet, eine unerwartete Entdeckung macht.

Robert N. Block stellt uns in seiner Nachbemerkung zu Arno Hachs Geschichte dann den weitgehend unbekannten Autor vor.


Wie man unschwer an diesen kurzen Inhaltsanrissen erkennen kann, haben sich die Herausgeber erfolgreich darum bemüht, uns einen bunten Strauß ganz unterschiedlicher Preziosen zu kredenzen. Von klassischen Motiven reichen die Themen bis zu real wirkenden Storys im Hier und Jetzt.

Besonders angetan haben es mir die Beiträge von Klymchuk (das überraschende Thema), Behrend (auch hier hat mich das Thema gepackt, das Finale mit seinem Twist dann noch einmal überrascht), Norten (atmosphärisch dicht) sowie Radkes etwas andere Behandlung des Teufelspakts. Allen Geschichten gemeinsam ist ihre handwerklich vorzügliche Qualität, die fern von den momentan so angesagtem Extrem-Horror ist und uns doch innerlich berührt, beunruhigt, ja ängstigt.

Wer also eher klassisch orientierte unheimliche Literatur mag, der findet hier wunderbaren Nachschub für seinen Bücherschrank.