Kai Meyer: Die Bibliothek im Nebel (Buch)

Kai Meyer
Die Bibliothek im Nebel
Knaur, 2023, Hardcover, 556 Seiten, 24,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Willkommen in Sankt Petersburg, in dem es in den Jahren 1913 bis 1917 nicht eben ruhig zugeht. Nach dem frühen Tod seiner Eltern kommt der junge Adelige Artur zu seinen reichen Verwandten. Dafür, dass er an der Universität Bibliothekswesen studieren darf, soll er die Bibliothek seines Onkels aufräumen.

Dann schlägt der Geheimdienst zu - Arturs Verwandte verschwinden, das Anwesen wird den Plünderern überlassen. Nicht genug mit dem Krieg gegen Wilhelms Truppen, die Bolschewiken bereiten sich auf den gewaltsamen Umsturz des Zaren-Regimes vor.

Artur flieht, nicht ganz freiwillig, an Bord eines Schiffes in Richtung Danzig. Insgeheim hofft er, seine große Liebe, die Malerin und Femme fatale Mara, dort wiederfinden. Zusammen mit Grigori, den wir bereits aus „Die Bücher, der Junge und die Nacht“ kennen, sorgt er in der Folge dafür, dass die 11jährige Liette Chevalier, die von ihrem Onkel um ihr Erbe betrogen werden soll, doch zu ihrem Recht kommt.

Dreißig Jahre später treffen wir in Nizza an der Côte d‘Azur auf die inzwischen erwachsene Liette. In ihrer Kindheit fand sie auf dem Dachboden des Hotels, das ihr Onkel führte, ein verschlossenes Buch - ein Buch, das sie seitdem nicht mehr loslässt. Sie beauftragt einen zwielichtigen Journalisten, der sich als Enthüllungsreporter auch dank seiner Skrupellosigkeit einen Namen gemacht hat damit, die Besitzerin des Buches, eine gewisse Mara, ausfindig zu machen. Die Spur führt zu einer seit Jahrzehnten verlassenen Villa und der dortigen „Bibliothek im Nebel“…


Was ist dies wieder für ein Roman, den uns der Meister des magischen Realismus hier kredenzt? Es ist - erneut - ein Buch der leisen Töne. Meyer geht es darum, uns von Schicksalen zu berichten. Da braucht es keine plakativen Action-Szenen, da wird Gewalt eher angedeutet als in den Mittelpunkt gestellt. Stattdessen stellt er uns interessante Charaktere vor. Menschen, die von ihrer Historie geprägt wurden, die unheimlich real wirken und überzeugend agieren.

In die minutiös recherchierten historischen Begebenheiten hat Meyer dann seine Handlung in drei Zeitebenen arrangiert. Verwinkelt, verwirrend und geheimnisvoll - so könnte man den Plot treffend beschreiben. Dass die Bücherstadt Leipzig nur am Rande vorkommt - geschenkt. Zu interessant sind die Vorgänge an der Côte d‘Azur, lauern Geheimnisse und Mysterien satt hinter jedem vergitterten Fenster.

Das ist faszinierend, spannend, interessant und bereichernd - wenn auch nicht ganz auf dem Niveau des Vorgängerromans „Die Bücher, der Junge und die Nacht“. Man muss wahrlich kein Prophet sein. um auch dieses Buch auf den Bestsellerlisten zu erwarten.