Laura Purcell: Das Porzellanhaus (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 24. September 2023 10:15

Laura Purcell
Das Porzellanhaus
(Bone China, 2019)
Übersetzung: Eva Brunner
Titelbild: Kim Isaak
Festa, 2023, Hardcover, 478 Seiten, 26,99 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Hester Why hat es eigentlich geschafft - sie ist als Kammerzofe und gleichzeitig Krankenschwester/Hebamme bei Sir Walter Windrop, einem neu in den Ritterstand erhobenen Gentleman - respektive natürlich bei dessen junger, anmutiger Frau - angestellt worden. Dass des Gentlemans verwitwete Mutter mit im Haushalt lebt und über fast alles zu bestimmen trachtet, sät Unfrieden, doch erst die Fehlgeburt der werdenden Mutter anlässlich einer Soiree führt dazu, dass sich Hesters scheinbares Glück wendet.
Sie flieht unter Mitnahme einer wertvollen Schnupftabakdose aus Porzellan und nimmt, als verfolgte Diebin unter falschem Namen, eine neue Stellung an. Die gefälschten Zeugnisse verschaffen ihr, weit vom Hannover Square entfernt, eine Aufgabe als Krankenschwester einer reichen, sechzigjährigen Dame an der Steilküste Cornwalls.
Vierzig Jahre ist es nun her, dass Dr. Ernest Pinecroft hier versucht hat, ein Heilmittel gegen die Schwindsucht zu finden, die ihm die Ehefrau und zwei Kinder raubte. Für seine Untersuchungen und Experimente wurden dem Forscher fünf Sträflinge übergeben, die in den weitläufigen Höhlen der Gegend festgehalten wurden. Seine Tochter Louise unterstütze seine Forschungen, allein, der Erfolg lieb dem Doktor versagt.
Nun ist Dr Pinecroft längst Vergangenheit, seine Tochter durch einen Schlaganfall an den Ohrensessel im ungeheizten Zimmer gefesselt. Hier starrt sie tagaus, tagein auf das kostbare Porzellan, kümmert sich nicht um ihr mittlerweile erwachsenes Mündel, das mehr wie ein Kleinkind behandelt wird, als wie eine Frau - schließlich, so die allgemeine Überzeugung der Dienerschaft, könnten die Fairies die junge Frau ja entführen…
In einer ihrer ersten Veröffentlichungen offeriert uns die damals noch recht unerfahrene Laura Purcell einen auf den ersten Blick etwas überladen wirkenden Plot.
Die Unterteilung des Buches in verschiedene Handlungsabschnitte, die zeitlich wie örtlich getrennt sind, kaschieren zunächst die schwächeren Abschnitte.
Zu Beginn erfahren wir von der Flucht der jungen Frau, von ihrer wundervollen Zeit als Zofe im Hannover Square und dann dem abrupten Ende dieser Idylle.
Schon auf der Fahrt nach Cornwall wird dabei die Sucht unser Erzählerin thematisiert; zunächst betäubt sie ihre Enttäuschung, ihre inneren Verletzungen mittels Alkohol, dann, in der neuen Heimat angekommen, mit Laudanum.
In ihrer neuen Wirkungsstätte, warten Veränderungen auf sie. Die ungewohnte, fast apathisch wirkende Dame, um die sich kümmern soll, die Angestellten im Herrenhaus, die sich so manches Mal viel herausnehmen, der Aberglaube, auf den sie trifft - alles Erlebnisse, die ihre Sucht, die nur ihre innere Verzweiflung kaschiert, weiter fördern. Dass sie dann scheinbar Übernatürlichem begegnet, nach und nach der Geschichte der Familie und des Hauses auf die Spur kommt, macht ihr Leben nicht einfacher.
Diese Entwicklung hat Purcell zwar folgerichtig und teilweise auch einfühlsam dargestellt, ist hier aber ab und an zu abrupt vorangeprescht. Auch die Inklusion der übernatürlichen Elemente wirkt in sich nicht ganz stimmig. Hier merkt man dem Roman an, dass es ein Frühwerk der Verfasserin ist, das zwar ihr riesiges Talent bereits andeutet, aber letztlich den Plot noch nicht so versiert offeriert, wie in späteren Romanen. Dabei hat das Buch alles, was man von einem viktorianischen Thriller erwartet; endlich einmal eine Zofe und keine hochherrschaftliche Dame im Zentrum, dunkle Geheimnisse, Drama und große Gefühle sowie eine malerische Kulisse.
So deutet der Roman das Potential der Autorin an, ohne dies bereits vollständig ausschöpfen zu können. Zwar verspricht die Lektüre einige durchaus spannende Schmökerstunden, mit Purcells späteren Meisterwerken aber kann der Text nicht ganz mithalten.