Gerhard Loibelsberger: Zerrüttung (Buch)

Gerhard Loibelsberger
Zerrüttung
Inspector Nechyba 9
Gmeiner, 2023, Paperback, 252 Seiten, 16,50 EUR

Rezension von Christel Scheja

Gerhard Loibelsberger ist vor allem mit seinen historischen Kriminalromanen um Joseph Maria Nechyba bekannt geworden, Der österreichische Oberinspektor ermittelte in den letzten Jahren der K&K-Monarchie und den ersten der jungen Republik. Nun gibt es einen Zeitsprung in das Jahr 1933, denn mit „Zerrüttung“ offenbaren sich die ersten Zeichen einer neuen Zeit.


Inzwischen ist der ehemalige Minsterialrat und Oberkommissar im wohlverdienten Ruhestand und folgt einer immer gleichen Routine, zumal seine Frau auch noch nicht immer aufgehört hat, zu arbeiten. Aber auch wenn seine Welt klein geworden ist, so entgeht ihm doch auch nicht durch die Besuche im Kaffeehaus und den kleinen Dramen um sich herum, dass die Welt im Wandel ist und Kanzler Dollfuß nach und nach die demokratischen Kräfte immer mehr zugunsten einer autoritären Führung aushebelt, die einer unübersehbaren Gefahr in die Hände spielt: den Nazis.

 

Auch wenn Joseph Maria Nechyba keinen wirklichen Kriminalfall mehr aufzuklären hat, so verfolgt der aufmerksame Demokrat und Sozialist doch die Entwicklungen, die ihm immer mehr Magenschmerzen bereiten. Doch mit über siebzig Jahren will er sich natürlich nicht mehr auf Irgendetwas einlassen und unternimmt nur wenig gegen das mulmige Gefühl, versucht nur in seiner direkten Umgebung etwas auf die Menschen einzuwirken.

Im Grunde schreibt die Geschichte die Handlung des Romans, der mehr oder weniger die Reaktionen auf die Ereignisse schildert, vor allem die schleichende Radikalisierung der Bevölkerung wie den wachsenden Antisemitismus und die Übergriffe auf Diejenigen, die noch anders denken und handeln.

Das Ganze ist sehr lebendig geschildert. Gerade weil das Geschehen aus der Sicht der einfachen Leute beschrieben wird, ist man mittendrin und erkennt eines: Die Geschichte ist so aktuell wie nie zuvor. Das lässt ab und an einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Gleichzeitig aber versteht man auch, warum der alte Ministerialrat nicht mehr aufsteht und auf die Straße geht.

Die Schicksale sind berührend und sorgen für die notwendige Spannung, die Geschichte hat genau die richtige Länge, ebenso wie die schlaglichtartige Schilderung des Geschehens und der daraus resultierenden Entwicklungen. Das richtige wienerische Ambiente entsteht zudem durch die liebevolle Schilderung der Lebensart der Bewohner der österreichischen Hauptstadt und dass der Autor viele typische Begriffe eingebaut hat, die aber auch gleich in Fußnoten übersetzt werden.

Vielleicht ist „Zerrüttung“ kein Kriminalroman im eigentlichen Sinne mehr, aber dennoch spannend in seiner eindringlichen Schilderung des Jahres 1933, das auch in Österreich dafür sorgte, dass dort die Nazis nach und nach immer mehr an Boden gewannen. Und das sind böse Entwicklungen, die sich leider auch in der Moderne entdecken lassen.