Jasmin Jülicher: Knochen und Dampf (Buch)

Jasmin Jülicher
Knochen und Dampf
2023, Taschenbuch, 372 Seiten. 14,90 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Eine riesige, befestigte Mauer schottet das Deutsche Autonome Territorium von seinen missgünstigen und aggressiven Nachbarn ab. Würde es die Mauer nicht geben, hätten Polen und Frankreich die dampfbetriebenen Erfindungen des Reiches längst gestohlen, die Menschen würden unter der Knute der Nachbarreiche stöhnen - so zumindest die allgemein verbreitete Ansicht.

So sind sie froh und glücklich, unter der weisen Herrschaft des Kaisers in Frieden, wenn auch nicht immer in Wohlstand - die Standesunterschiede sind markant - zu leben.

Einst diente Mary Parker dem Kaiser in seiner Armee. Für junge Frauen gibt es nur zwei Wege, für die sie sich entscheiden können: Ehefrau und Mutter zu werden, oder zum Militär zu gehen.

Allen Widerständen zum Trotz ist sie zum General aufgestiegen und rettet dem Monarchen bei einem Bombenanschlag das Leben. Eine verbrannte Gesichtshälfte und ein künstliches Auge hat ihr die Heldentat eingebracht, ihre Karriere in der Truppe war damit aber zu Ende.

Seitdem verdingt sie sich als Privatermittlerin.

Als in einem Ossarium auf dem Gelände des Palasts ein überzähliges Skelett entdeckt wird, erinnert sich der Monarch an seine Generalin und engagiert sie, das Mysterium, diskret versteht sich, aufzuklären. Die Identität des Toten hat sie mit Hilfe des beigezogenen Forensikers Max schnell gelüftet - es handelt sich um den unehelichen Sohn des Kaisers, von dessen Existenz niemand erfahren darf.

Doch wer hat den jungen Mann ermordet und warum? Die Ermittlungen erweisen sich als delikat - nicht etwa, weil Mary und Max keine Verdächtigen finden, sondern, weil es deren viel zu viele gibt…


Jasmin Jülicher legt mit vorliegendem Roman eine gelungene Mischung aus Krimi und einer fiktiven, ans Wilhelminische Reich erinnernde Steampunk-Umgebung vor. Auffällig, dass sie uns ganz dem Motto „Show, don’t tell“ folgend wenig erklärt, uns mehr in ihre Bühne hineinversetzt und durch die Augen der dort Lebenden diese Welt zeichnet. Dazu kommen dann unsere beiden Hauptfiguren: die Ermittlerin, eine Frau, die sich ihren Weg mühsam erkämpfen musste, die immer wieder Ressentiments ausgesetzt ist, sowie ihr zur Seite der zu Beginn recht trockene Forscher aus reichem Elternhaus.

Ein größerer Gegensatz scheint schwer vorstellbar und doch raufen die Beiden so Ungleichen sich zusammen. Mehr noch, sie befruchten und ergänzen sich, lernen beide hinzu, hinterfragen ihre bisherigen Überzeugungen und machen sich daran, die vielen Geheimnisse und Intrigen rund um den Mord aufzuklären. Dass sie dabei endlich einmal kein Paar werden, spricht für Jülicher, die die Beziehung ganz auf einer freundschaftlich-kollegialen Ebene lässt.

Die immer wieder neuen Erkenntnisse treiben den Plot; die Verdächtigen, die genauer ins Visier genommen, dann wieder entlastet werden sorgen für Spannung und auch ein wenig Partizipation des Lesers. Zwar ist die Auflösung am Ende dann keine wirkliche Überraschung, aber in sich folgerichtig und passend.

Das Setting würde sich durchaus für weitere entsprechende Ermittlungen anbieten, Ansätze gibt es genug.

So bleibt mir ein durchaus positiver Gesamteindruck: Setting, Figuren und Tätersuche verbinden sich zu einer interessanten, kurzweiligen Lektüre, die insbesondere vom Gegensatz des Ermittler-Teams und dem abgeschotteten Dampf-Kaiserreich lebt.