Mike Shultz: Das Schwert der Erinnerung (Buch)

Mike Shultz
Das Schwert der Erinnerung
(A Sword of Memory, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski
Titelgestaltung von semper smile & Guter Punkt unter Verwendung von Motiven von Anke Koopmann/Guter Punkt und Bob Orsillo/shutterstock
Piper, 2010, Taschenbuch, 494 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-492-26737-3

Von Irene Salzmann

Das Dorf von Ankmet wird von einer Horde Sethos überfallen und zerstört, seine Bewohner werden getötet oder in dämonische Kreaturen verwandelt. Ankmet und seine Mutter Mirophet gehören zu den wenigen Überlebenden, die von einer Gruppe Krieger aus Galdameria aufgelesen werden. Ihr Anführer Silberklinge entscheidet, Mirophet und Ankmet als Frau und Sohn in sein Haus aufzunehmen. Als Bogenmacher könnten sie von Nutzen sein; außerdem ist die Witwe schön und stolz.

Beide müssen sich von nun an in einer Hierarchie zurechtfinden, die ganz anders ist als alles, was sie kennen: Die Krieger haben das alleinige Sagen, und auch die Prentas, die nach der Ausbildung in ihre Fußstapfen treten werden, genießen viele Freiheiten. Nicht-Prentas, Frauen und Sklaven haben so gut wie keine Rechte.

Als Ankmet versucht, das Mädchen Grünauge vor den Zudringlichkeiten Messers, einem Prenta, den viele für den zukünftigen Anführer und Retter im Kampf gegen die Sethos halten, zu bewahren, zieht er sich dessen Feindschaft zu. Strafen und Schikanen für Ankmet sind die Folge, und der Jüngling begreift, dass er nur dann sich und die Menschen, die ihm etwas bedeuten, retten kann, wenn er am Aufstiegstag bei den harten Wettkämpfen so gut abschneidet, dass er auch als Nicht-Prenta in die Reihen der Krieger aufgenommen wird.

Die Chancen, dass Ankmet sein Ziel erreicht, stehen schlecht, denn die Gleichaltrigen haben nicht nur einen gewaltigen Vorsprung, sondern unter ihnen und den Ausbildern befinden sich auch viele Neider, die dem Fremden Steine in den Weg legen – und Schlimmeres. Durch Beharrlichkeit, Kameradschaft und seine schnelle Auffassungsgabe findet Ankmet dennoch treue Freunde unter seinen Mitbewerbern und gewinnt außerdem die Achtung von so manchem Krieger.

Über den Aufstiegstag und die persönlichen Konflikte der Beteiligten gerät die Bedrohung durch die Sethos fast in Vergessenheit. Als die dämonischen Kreaturen mit einem gewaltigen Heer heranrücken, scheinen interne Machtkämpfe und Fehleinschätzungen, mehr aber noch Verrat das Schicksal der Galdamerianer zu besiegeln...

Newcomer Mike Shultz legt mit „Das Schwert der Erinnerung“ seinen Debüt-Roman vor. Dabei bedient er sich gängiger Charaktere und Motive aus der Fantasy: Ankmet und Mirophet sind Flüchtlinge, die sich in einem fremden Umfeld behaupten müssen und ständig anecken, oft mit üblen Folgen. Silberklinge, der beide zu schützen versucht, sind die Hände oft gebunden, zumal auch er Feinde hat, insbesondere den Krieger Dunkelschild. Langsam lernt er, Kompromisse einzugehen und die Sichtweise der neuen Mitglieder seines Haushalts zu akzeptieren, wodurch er ihre Achtung und Zuneigung erringt. Grünauge ist wie Ankmet ein Opfer des strengen Gesellschaftssystems. Beide begehren auf und verändern sich auf die eine oder andere für ihr Überleben notwendige Weise. Dabei erleben sie viele Überraschung und rühren an Geheimnissen, die sie sich niemals hätten träumen lassen. Messer ist Ankmets Rivale, sein und Grünauges Peiniger, arrogant, verschlagen und brutal, was auch jene zu spüren bekommen, die ihm vertrauen. Die übrigen Charaktere schmücken die Handlung aus, geben immer wieder Impulse und tragen ihren Teil dazu bei, dass die Geschichte komplex ist und an verschiedenen Schauplätzen vorankommt.

Die Kulisse liefert der Überlebenskampf gegen die Sethos, gefallene Männer und Frauen, deren Körper sich Dämonen bemächtigt haben, die zunächst so tumb wie Zombies wirken, sich im Laufe der Handlung jedoch als intelligent erweisen und offenbaren, dass jemand hinter ihnen steht, der die Befehle gibt. Die eskalierende Bedrohung wird oft in den Hintergrund gedrängt, wenn unmittelbare Dramen die Protagonisten erschüttern; der Aufstiegstag scheint wichtiger als konsequente und rechtzeitige Verteidigungsmaßnahmen.

Das Setting will sich nicht ganz festlegen lassen. Die Namen der Flüchtlinge und der dämonischen Angreifer lieh sich der Autor von den alten Ägyptern. Eine Vorherrschaft der Kriegerkaste kennt man beispielsweise aus Sparta und dem mittelalterlichen Japan (Samurai). Dass Frauen als wenig(er) wert erachtet werden, findet man bei vielen Kulturen und noch in der Gegenwart, doch geht Mike Shultz hier nicht ins Detail sondern nimmt diesen Punkt nur als Anlass, um Konflikte zu schüren, Messers Verhalten gegenüber Grünauge und Ankmet zu legitimieren und Silberklinges Machtlosigkeit, die beiden immer zu beschützen, zu verdeutlichen.

Das titelgebende „Schwert der Erinnerung“ entpuppt sich als Dreh- und Angelpunkt und als entscheidende Wende für Ankmet und Grünauge. Hier mehr zu verraten, würde der ansonsten vorhersehbaren Story so manche Überraschung nehmen. Die Grundidee ist interessant, man findet sie in der Mythologie mancher Völker, doch noch ist sie relativ unverbraucht.

Alles in allem ist „Das Schwert der Erinnerung“ trotz kleiner Schwächen wie das oft falsche Priorisieren von Gefahren und die Vorhersehbarkeit einiger Entwicklungen ein beachtenswerter Erstlingsroman, der mit interessanten und sympathischen Charakteren und einer reizvollen Idee aufwartet.