Kapuzinerschule 1: Das vergiftete Dorf (Comic)

Kapuzinerschule 1
Das vergiftete Dorf
(L'Ecole Capucine: Venin de Village)
Text: JB Dijan
Zeichnungen: Vincent
Farben: Delf
Übersetzung: Tanja Krämling
Lettering: Kai Frenken
Splitter, 2010, Hardcover, 56 Seiten, 13,80 EUR, ISBN 978-3-86869-227-3

Von Frank Drehmel

1852: Camille Desfhouet und ihr Gatte Honoré Pencrec'h kehren nach 20 Jahren zur der kleinen bretonischen Insel Dourduff zurück, dem Ort, an dem sie in der Kapuzinerschule von Mademoiselle Hortense Malanges ihre Kindheit verbrachten, dem Ort, an dem Honoré als Kind auf tragische Weise seine große und einzige Liebe, Emma, verlor.

Dass er und Camille, welche ehedem nicht nur von Honoré, sondern auch von den Erwachsenen ob ihrer spitzen, bösartigen Zunge verabscheut wurde, ein Ehepaar geworden sind, ist nicht nur für die jetzigen Bewohner der kleinen Ortschaft Kerfilec auf dem Festland, vor dem die Insel gelegen ist, ein Mysterium, sondern auch der Gatte selbst ist nicht sicher, was eigentlich geschehen musste, damit er Camille in das dekadente, unruhige und unglücklich machende Paris folgte.

Sei es wie es sei: heute sind die beiden als Ehepaar zurückgekehrt. Während Honorè in Schwermut und Depression versinkt, bedeutet Camilles Auftauchen für einige der Bürger – und hier insbesondere Mademoiselle Hortense und ihr Faktotum Louis – eine reale Gefahr, denn wie andere Menschen aus Kerfilec haben auch sie ihre dunklen Geheimnisse, Geheimnisse, die der kleinen Emma mutmaßlich das Leben und Camille einen Tag ihrer Erinnerung gekostet haben. Dementsprechend groß ist die Furcht vor der rothaarigen Frau aus Paris, die in der Tat hinter dem Rücken Honorés und mit Hilfe eines Notars mit Ermittlungen der damaligen Vorkommnisse beginnt.

Honoré unterdessen wird nicht nur von düsteren Gedanken über die Vergangenheit geplagt, aus dieser Vergangenheit ist auch etwas ganz Manifestes in seine Gegenwart gedrungen: sein jüngeres Ich, das aufgrund eines unüberlegten Zaubers Hortenses nun, da es zwischen den Zeiten hin- und herreisen kann, in der Gefahr schwebt, verloren zu gehen und – metaphorisch gesprochen – zu einem wilden Wolf zu mutieren. Tatsächlich ist der kleine Honore getrieben vom Hass auf Camille, die er nur als böses Mädchen kennengelernt hat, das für seine Liebe zu Emma nicht als Hohn übrig hatte. Und so begeht er in seiner Zukunft eine Untat, die nur mit Hilfe seines älteren Ichs wieder rückgängig gemacht werden kann, was allerdings nicht einfach ist, da die beiden Honorés sehr unterschiedliche Vorstellungen über das Leben und die Liebe haben.

Autor Jean-Blaise Dijan dürfte Comic-Freunden durch seine beiden Albenreihen „Der große Tote“ (dt. bei Ehapa) und „Die Vier von der Baker Street“ (dt. bei Splitter) bekannt sein. Während „Die Vier von der Baker Street“ eine leichte, dynamische Geschichte in einem gleichermaßen historischen wie fiktionalen Kontext darstellt, deutete sich in „Der große Tote“ das Faible des Autors für eine Art magischen Realismus an, die Durchdringung einer äußerst düsteren Realität von einem magischen, beängstigenden Moment. Auch in der „Kapuzinerschule“ bleibt Dijan diesem Ansatz treu: die Realität der beiden Hauptprotagonisten ist eine bedrückende, schwere und schwermütige, gezeichnet sowohl durch die Vorkommnisse einer für den Leser noch vollkommen dunklen Vergangenheit als auch die Kargheit beziehungsweise Rauheit der bretonischen Küstenlandschaft. In diese Realität nun, in der Glück und Unbeschwertheit allenfalls für kurze Momente aufflackern, bricht nun Unerklärliches ein, etwas, von dem der Leser zwar zunächst annimmt, es handle sich um eine Vision oder einen Traum, das sich jedoch kurz darauf als real erweist und gerade dadurch der Story eine sehr surreale Note verleiht.

Trotz einer Vielzahl von Schnitten und Szenenwechseln wirkt die gesamte Story sehr ruhig, fast schon getragen gravitätisch, da der Autor dem Seelenleben seiner Protagonisten besondere Bedeutung zukommen lässt und große, tiefe Gefühle wie Liebe, Glück, Tod oder insbesondere Trauer in den Mittelpunkt seiner Betrachtung stell. Ungeachtet dieser Gefühlsbetontheit ist die Geschichte zu keinem Zeitpunkt langweilig, da neben dem magischen Moment ein so klassischer wie geheimnisvoller Kriminalfall steht, der seiner Aufklärung harrt.

Vincents Artwork, das man schon in der Splitter-Reihe „Albatros“ erleben konnte, ist zunächst gewöhnungsbedürftig, da er seinen Figuren ein ebenso markantes, wie eckiges und fast schon skizzenhaftes Äußeres verleiht und sich auch ansonsten nicht lange mit akkurat gezeichneten Details aufhält, sondern die Bildelemente zwar klar und deutlich, aber mit dennoch leichtem Strich umreißt. Allerdings sind die Zeichnungen insgesamt so ausdrucksstark und spiegeln so passend das Surreale der Handlung wider, dass es höchstens drei, vier Seiten dauert, bis man bereit ist, sich auf Vincents Stil einzulassen und man schlussendlich das Fazit ziehen muss, dass seine Zeichnungen perfekt, ja geradezu synergetisch zu Dijans Geschichte passen.

Fazit: Eine spannende, schwermütige Geschichte, voller düsterer Geheimnisse, Obsessionen und Magie, die dank des großartigen Artworks den Leser unvermeidlich in ihren dunklen Bann zieht.