Lynn Raven: Der Küss des Dämons (Buch)

Lynn Raven
Der Kuss des Dämons
Dämon 1
Titelgestaltung von Nele Schütz Design unter Verwendung eines Fotos von Corbis
Autorenfoto von Katja Theiß
cbt, 2010 (Originalausgabe: Ueberreuter, 2008), Taschenbuch, 336 Seiten, 7,95 EUR, ISBN 978-3-570-30554-6

Von Irene Salzmann

Nach dem Tod ihrer Eltern lebt Dawn Warden bei ihrem Onkel Samuel in einem großen Haus. Da ihr Verwandter viel unterwegs ist und betont, dass er nicht auch noch seine Nicht verlieren will, muss sie einen Leibwächter und eine Haushälterin dulden, die ein waches Auge auf sie haben. Nach und nach gelingt es ihr jedoch, die strengen Regeln, die ihr sogar untersagten, Mitschüler zu besuchen oder nach Hause zu bringen, zu lockern. Mittlerweile hat sie gute Freunde, mit denen sie häufig etwas nach der Schule unternimmt.

Dann taucht ein neuer Schüler auf – und nichts ist mehr, wie es vorher war. Julien DuCraine sieht umwerfend gut aus und ist sich dessen auch bewusst, denn er gibt sich ‚cool‘ und arrogant und lässt jede seiner Freundinnen nach nur wenigen Tagen fallen. Dawn ist ebenfalls fasziniert, und als Julien sie zu einer Spritztour mit seinem Motorrad einlädt, regt sich in ihr die Hoffnung, dass er sie nicht mit den anderen Mädchen über einen Kamm scheren wird. Doch weit gefehlt: An einem entlegenen Ort setzt er sie einfach ab und macht sich aus dem Staub!

Dawn ist verletzt und wütend. Von diesem Mistkerl will sie nichts mehr wissen, und auch er geht ihr aus dem Weg. Aber die Umstände bringen sie immer wieder zusammen. Als in der Theaterhalle ein Balken herabstürzt, ist es Julien, der Dawn rettet, und sie wiederum kümmert sich um ihn, nachdem er vorübergehend geblendet wurde. So betritt sie zum ersten Mal seine Wohnung und stellt fest, dass die Räume unbewohnt wirken, es kaum persönliche Gegenstände und auch keine Lebensmittel gibt – außer einem merkwürdigen Getränk, das sie vage an den Tee erinnert, den sie immer bekommt, wenn ihre Zähne schmerzen.

Nach einer Weile kann Julien sein Geheimnis nicht länger vor Dawn verbergen, aber es kommt noch schlimmer: Sie findet das Tagebuch ihrer Mutter und erfährt von Dingen, die alles, woran sie bislang glaubte, auf den Kopf stellen. Als sie Eins und Eins zusammenzuzählen beginnt, ist es bereits zu spät. Julien wurde von seinen Feinden gefangengenommen, und auch für Dawn hat man Pläne ...

Der Klappentext nimmt es wieder einmal vorweg: Julien ist ein Vampir – wie könnte es auch anders sein, seit Bella und Edward die Herzen romantischer Teenager und Erwachsener im Sturm eroberten? Und natürlich wird jedes Buch, das auf der aktuellen Welle mitschwimmt, an „Twilight“ gemessen, als hätte es vorher keine Vampir-Romane gegeben, als wäre die Tetralogie das A und O des Genres. Kennt die heutige Leser-Generation überhaupt noch Bram Stoker, Joseph Sheridan Le Fanu, John Polidori und andere? Die Autorin schon, doch die wenigsten dürften ihre Anspielungen, unter anderem auf Lord Ruthven aus Polidris „Der Vampyr“, entdecken.

Nun, die Autoren der Gothic Novel und ihre Nachfolger setzten auf subtiles Grauen und unterschwellige Erotik, auf eine spannende Handlung und interessante Charaktere, die Kinder ihrer Zeit sind. Die Romantic Mystery hingegen stellt eine Romanze, in der Regel zwischen einem Vampir und einem Menschen, in den Mittelpunkt, und der Plot liefert lediglich das Gerüst für das Hin und Her zwischen den Archetypen, die ausnahmslos wunderschön, stark und klug sind, ihre große Liebe suchen und finden, diese vor etwaigen Gegnern beschützen und den eigenen Blutdurst selbstverständlich unter Kontrolle haben. Man könnte meinen, die Romantic Mystery kehrt die Charakteristika der Gothic Novel ins Gegenteil um.

Auch Lynn Raven hängt sich an den aktuellen Trend, bemüht sich jedoch, dem Vampir-Mythos eine neue Facette hinzuzufügen. So trennt sie zwischen Lamien, den geborenen Vampiren, die ihren Ursprung in der griechischen Mythologie haben, und den gewandelten Vampiren, die auch als solche bezeichnet werden. Sie haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Julien ist ein Lamia. Dass er Dawn auf Abstand hält, liegt nicht daran, dass er sie nicht mag – im Gegenteil: Er möchte seiner großen Liebe nicht schaden. Überdies gibt es einen Grund für seine Anwesenheit, durch den das Mädchen schließlich doch in eine prekäre Situation gerät. Allerdings wäre ihr das auch ohne sein Zutun passiert, denn um Dawn und ihre Familie ranken sich allerlei Geheimnisse.

Man kann nach Unterschieden oder Gemeinsamkeiten zu „Twilight“ suchen, ganz wie man möchte. Oder man genießt einfach ein unterhaltsames Buch, das man kaum gekauft hätte (beziehungsweise würde kaufen wollen), würde man Genre und Thema nicht mögen. Die Autorin bemüht sich um Originalität, kann aber nicht völlig auf Versatzstücke und vorhersehbare Entwicklungen verzichten, da bestimmte Schemata von der Leserschaft erwartet werden und die Handlung ohne sie nicht funktionieren würde.

Letztendlich gelingt es ihr, routiniert eine lebendige Handlung abzuspulen, welcher man gern bis zum Schluss folgt, der doch noch mit einigen Überraschungen aufwartet. Vor allem Leserinnen zwischen 14 und 16 Jahre können sich mit Dawn identifizieren. Hat man Spaß an Titeln wie „Vampire Diaries“, „House of Night“, „Hex Hall“ usw., wird man sicher auch dem „Kuss des Dämons“ eine Chance geben und bei Gefallen die beiden Folgebände kaufen wollen.