Lars Dangel (Hrsg.): Montezuma (Buch)

Lars Dangel (Hrsg.)
Montezuma
Seltsame und phantastische Erzählungen aus der Zeit von 1836 bis 1948
Titelbild und Innenillustrationen: Heiko Schulze
Dunkelgestirn, 2021, Hardcover, 412 Seiten, 48,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Erneut lassen Eric Hantsch als Verleger und Lars Dangel als kundiger Herausgeber von sich hören. Der eine garantiert dafür, dass das Herz eines jeden Bibliophilen höherschlägt, der andere sorgt mit seiner kundigen Expertise dafür, dass die Freunde klassischer Phantastik einmal mehr vergessene Perlen derselben genießen dürfen.

Inzwischen kennen wir die handwerklich vorzügliche Arbeit bereits: marmorierte Deckel, geprägter Rücken, Lesebändchen, hochwertiges Papier und zu (fast) jeder Geschichte eine extra dafür gefertigte Farbillustration nebst dem Schuber - da lacht das Herz des Bücherfreundes - und daraus erklärt sich auch der Preis des umfangreichen Titeld, mit dem ganz gewusst kein Gewinn erzielt werden soll.

Inhaltlich hat der Herausgeber einmal mehr aus seinem umfangreichen Fundus gegriffen. Zumeist, einmal abgesehen von den mir bekannten Sir Arthur Conan Doyle und Willy Seidel, sind die Verfasser der Geschichten selbst dem Kenner klassischer Phantastik wohl unbekannt, so dass die kurze Vorstellung derselben, soweit Dangel hier etwas zur Vita finden konnte, mehr als hilfreich ist.

Nach der kundigen und informativen Einleitung des Herausgebers erwarten nicht weniger als neunzehn Erzählungen den Leser. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Topics. Das verwunschene Anwesen mit Geistern ist ebenso vertreten, wie Begegnungen der gruseligen Art.

Ich habe, was man eigentlich tunlichst vermeiden sollte, die Geschichten hintereinander weg genossen. Anthologien sind eigentlich dazu da, dass man sich Zeit für den Inhalt nimmt. Man sollte die einzelnen Beiträge genießen, auf sich wirken lassen und immer einmal wieder vom Neuen zum Buch greifen.

So habe ich bewusst mit der Besprechung ein wenig gewartet, um zu schauen, welche der Erzählungen mir auch nach Tagen noch als besonders intensiv und faszinierend im Gedächtnis geblieben ist.


Als da sind etwa die Geschichte eines Anhalters in Italien, der bei einem Rennfahrer einsteigt, dann in dessen Anwesen zu Gast ist und die kulinarischen Köstlichkeiten nebst der musikalischen Untermalung in Gesellschaft einer großen Spinne genießt. Des Nachts besucht ihn, durch den Spiegel in seinem Zimmer, eine betörende Dame - bis deren Ehegatte die Stelldichein ultimativ unterbindet.(Roland Betsch: „Abenteuer im Süden“)

Dann begegnet uns eine laszive Diva, eine Weltenbummlerin, die ihren besonderen Appetit auf höchst erfüllende Art und Weise für ihre Opfer stillt (Ernst Warlitz: „Sphinx“)

Oder etwa der mysteriöse Wächter in der Ägyptischen Abteilung des Louvre, der eine ganz besondere Beziehung zu einer der Mumien hat. (Sir Arthur Conan Doyle: „Der Ring des Toth“)

Dann hätten wir da noch die titelgebende Geschichte über den Bau einer Eisenbahnstrecke in dem unwirtlichen Gebirge Mexikos, bei dem einer der beteiligten Ingenieure eine revolutionäre Zugmaschine erfindet, die allerdings, ein wenig zu gut konstruiert, ein gewisses Eigenleben entwickelt (Friedrich Meister: „Montezuma“)

Dann hätte ich noch eine ebenso skurrile wie faszinierende Erzählung um einen Mann, der, für gutes Geld versteht sich, sein Verdauungsorgan zur Verfügung stellt. Was immer sein Auftraggeber völlert, zum Verdauen landet es im Magen seines Opfers - mit gar grausigen Folgen. (Paul Lafargue: „Der verkaufte Appetit“)

Es gibt ein aus dem alten Ägypten stammendes Amulett mit der Hieroglyphe DED, das vor dafür sorgt, dass der Besitzer seine kunstfertigen Vorstellungen im Zirkus darbieten kann - bis eines Tages ein Sturm aufkommt. (Leo am Bruhl: „Das Rätsel der Hieroglyphe DED“)

Eine Polar-Expedition trifft in der tiefsten Arktis auf ihrer Nemesis - fast unsichtbare Bestien dezimieren die im Eis eingeschlossene Schiffsbesatzung; Tiere oder doch etwas Anderes - vielleicht gar ein Überbleibsel aus lang vergangenen Tagen? (Hermann Dreßler: „Im Banne des Grauens“)


Wie man sieht: Die Beiträge sind abwechslungsreich, faszinierend, gruselig und spannend. Dabei schocken uns die Verfasser nicht, wie inzwischen fast schon üblich, mit grausamer Gewalt und jeder Menge Blut und Innereien, es ist eine andere, eine leisere Art des Unheimlichen, des Gruseligen, die uns heimsucht. Dass diese nach wie vor das Potential haben, uns zu verstören und heimzusuchen spricht nur für die Qualität der Verfasser und ihrer Phantasie.