Kathrin Tordasi: Nachtschattenwald - Auf den Spuren des Mondwandlers (Buch)

Kathrin Tordasi
Nachtschattenwald - Auf den Spuren des Mondwandlers
Sauerländer, 2021, Hardcover, 350 Seiten, 16,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

In der nahen Zukunft hat sich das Gesicht der Welt völlig verändert. Berlin ist größtenteils von einem grünen Pflanzendschungel überwuchert, die wenigen noch lebenden Menschen haben ihre wenigen Refugien der Zivilisation, halten sich aber, vor allem nachts, von den wilden Teilen des Waldes fern. Handys funktionieren nicht mehr, genauso wie andere Fernmeldetechniken; keiner scheint zu wissen, was im Rest der Welt so vor sich geht.

In dieser Welt wächst der kleine Finn heran, der, als er sechs Jahre alt ist, mit seiner dreizehnjährigen Schwester Hannah zusammen, im Nachtschattenwald verloren geht. Als Hannah Hilfe holen will, verschwindet sie. Nur der von Hannah versteckte Finn wird am nächsten Tag von Erwachsenen im Wald gefunden.

Die Erwachsenen erzählen sich, dass alle im Wald verschwundenen Menschen vom ominösen Mondwandler entführt und in dauerhaften Schlaf versetzt worden seien. Aber so gut wie niemand bemüht sich, die Vermissten zu suchen, um nicht selbst zu verschwinden.

Sechs Jahre später treffen Finn und seine Freundin Samira auf eine Gruppe Jugendlicher, die sich fest vorgenommen hat, den Mondwandler aufzuspüren und ihn zu vernichten, damit von ihm keine Gefahr mehr ausgehen möge in Zukunft.

Finn und Samira sind entsetzt, denn sie befürchten, dass bei dem geplanten Brandanschlag auch alle Entführten sterben könnten.Deshalb beschließen die beiden, mit Hilfe des Mädchens Elli, den Mondwandler vorher zu finden und die Schlafenden zu befreien, wenn es diese überhaupt gibt.

Mit Hilfe eines seltsamen Frosches, der wie ein Kompass funktioniert, aber nur von Finn bedient werden kann, gelingt es den dreien tatsächlich, den Mondwandler aufzuspüren. Zu spät merken die Jugendlichen, dass sie verfolgt wurden, zumal sie ein Geheimnis entdecken, das ihr Weltbild für immer gründlich erschüttert...


Tordasis Jugendbuch ist unterhaltsame Lektüre, leider mit einem kleinen Hänger zwischen den Seiten 150 und 200. Erst nachdem die Autorin kurz nach Seite 200 die Geheimnisse ihrer Welt lüftet und der Leser deren Mysterien enträtseln kann, steigt der Spannungsgehalt der Geschichte wieder rapide an.

Der Autorin gelingt es damit sogar, das Niveau von einer diffusen und eher uninteressanten Fantasy-Welt auf eine SF-Zukunftswelt zu heben, die uns alle angehen sollte und die einen starken Bezug zu unseren heutigen Klima-Problemen und damit unserer Realität hat.

Die naturwissenschaftliche Ausarbeitung einer glaubhaften Zukunftswelt bedeutet ganz klar, dass sich die Hintergrundkonstruktion der ganzen Geschichte an Glaubwürdigkeit und naturwissenschaftlichen Details bemessen lassen muss und somit schwieriger zu leisten ist (was der Autorin aber sehr gut gelingt). Womit die hier beschriebene Welt deutlich mehr Relevanz erhält, als dies bei einer oberflächlichen Fantasy-Welt der Fall wäre, die uns selbst zwar gut unterhalten, aber nicht wirklich tiefgreifend ansprechen oder gar wirklich betreffen könnte.

Tordasi gelingt es dabei, den erhobenen Zeigefinger zu vermeiden und stattdessen innovative Ideen zu versprühen, welche leider erst jenseits von Seite 200 offenbar werden. Dies ist jedoch die einzige Schwäche eines ansonsten unterhaltsamen, intelligenten und phantasievollen Romans, den man Lesern empfehlen kann, die über einen gewissen geistigen Horizont verfügen und mit den hier geäußerten Ideen etwas anfangen können.

Wer kritische und clevere SF-Sujets zu schätzen weiß, der wird von „Nachtschattenwald - Auf den Spuren des Mondwandlers“ (nach einem kleinen, verschmerzbaren Hänger) hervorragend bedient.