Alisha Bionda (Hrsg.): Odem des Todes - Edition Media Noctis 1 (Buch)

Alisha Bionda (Hrsg.)
Odem des Todes
Edition Media Noctis 1
Ashera, 2021, 352 Seiten, 19,90 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Unermüdlich ist Alisha Bionda unterwegs, den deutschsprachigen Autorinnen und Autoren in ihren Anthologien einen Platz zu bieten, sich zu präsentieren. Dabei gibt sie in aller Regel ein Thema vor, dessen Ausgestaltung dann den jeweiligen Verfassern obliegt.

Vorliegend hat sie sich für einen wahren Prachtband mit fadengehefteter Hardcover-Bindung und Lesebändchen im Ashera-Verlag einen Großmeister der Phantastischen Literatur angenommen. Edgar Allan Poe ist dabei nicht nur Genre-Liebhabern ein Begriff, sondern zählt zurecht zu den bekanntesten Autoren überhaupt.

Doch statt, wie eigentlich zu erwarten, eine Kurzgeschichten-Sammlung aufzulegen, in der sich die Beiträge darum bemühen die ganz eigene Art und Weise, wie Poe seine Leser in Angst und Schrecken versetzte, zu kopieren, sollten die Verfasser Poe selbst in ihren Beiträgen auftreten lassen. Dabei geht Fiktives mit Realem eine Synthese ein, die den Leser so manches Mal zweifeln lässt, ob das Geschilderte nicht doch tatsächlich so passiert sein könnte.

Leider wurden die von Crossvalley Smith geschaffenen Bilder der Erstausgabe des Titels bei Voodoo Press zu den jeweiligen Beiträgen vorliegend nicht mit übernommen.

Bei der Lektüre fiel mir auf, dass, so unterschiedlich sich die Beiträge auch präsentierten, so verschieden die Autoren inhaltlich wie stilistisch vorgingen, sich das Niveau der Storys erfreulicherweise beeindruckend hoch anbot.


Den Auftakt der dreizehn Beiträge macht Arthur Gordon Wolfs Story „Die Geister der Vergangenheit“. In einem unbekannten Brief enthüllt Poe Kindheitserinnerungen über seine traumatischen Erlebnisse mit einer einäugigen Katze und einem Kohleberg, unter dem er als Junge verschüttet wurde.
Geschickt baut der Autor hier mit Hilfe der Geschichte in der Geschichte eine unheimliche, beklemmende Atmosphäre auf, die den Leser in ihren Bann zieht. Stilistisch sehr nahe an Poe, überzeugt dieser Auftakt auf der ganzen Linie.

In Florian Hillebergs „Süße Liebe Wahnsinn“ wird der heranwachsende Poe von einer verwitweten Nachbarin verführt. Was als gemeinsame Liebe zu Lord Byron beginnt, das nimmt nur zu bald morbide und surreale Züge an. Insbesondere der zunächst schleichende Wahnsinn, dem sich die 40jährige zunehmend aussetzt, prägt die atmosphärisch dichte Erzählung.

Neu mit dabei im Reigen der Verfasser ist Barbara Büchner. Als versierte Autorin nimmt sie sich in „Das Verhängnis der Grisworlds“ der Vendetta Poes mit dem ihn verleumdenden Kritiker an. Aus dieser Verleumdungskampagne resultierte nicht nur Poes angekratzter Ruf, vorliegend übt der Meister der dunklen Worte auch Rache an den Nachkommen des verbrecherischen Kritikers.

Nicolaus Equiamicus „Die Rosenbrosche“ greift das Thema der Dupin-Geschichten auf. Poe nimmt darin Rache für den Mord an seiner Liebsten.
Geradlinig erzählt, gehört die Geschichte zwar nicht zu den Highlights des Bandes, weiß aber dennoch spannend zu unterhalten.

In Sören Preschers „Metzenger“ begegnet Poe einem gar seltsamen Sammler, der es auf die in dieser Kombination ungewöhnlichen Gefühle Verzweiflung, Entschlossenheit und Vorahnung abgesehen hat.
Geschickt zeichnet der Autor einen Poe, der - vorliegend von Metzenger - förmlich getrieben wird, der zwanghaft seine literarischen Ergüsse fieberhaft zu Papier bringt.

Es schließt sich die umfangreichste Novelle des Bandes an. In der Titelgeschichte „Odem des Todes“ von Erik Hauser nimmt Poes Bruder eine bedeutende Rolle ein. Der ältere der beiden schreibenden Brüder erzählt kurz vor seinem Tod von einer Reise als Matrose auf eine der Südseeinseln. Hier werden die Seefahrer zunächst willkommen geheißen, erhalten Rum und Liebesdienste, sollen aber dann B´al Tok geopfert werden.
Geschickt nutzt Hauser die Abenteuer-Geschichte um neben dem extrovertierten Matrosen seinen introvertierten und immer in dessen Schatten stehenden Bruder näher zu beleuchten. Dabei erhalten wir in kleinen Nebensätzen Einblick in den leidvollen Alltag Poes, der geprägt ist von Armut und Not, ihn erst dazu anhält, seine Sätze zu Papier zu bringen. Intensiv, gleichzeitig unauffällig zeichnet der Autor ein lebensechtes Bild Poes, dessen Tiefe von keiner der anderen Erzählungen auch nur annähernd erreicht wird.

Andreas Flögels „Die fehlenden Köpfe“ zeigt uns Poe erneut als Detektiv. Die Honoratioren seiner Heimat setzen ihn auf eine Mordserie an, bei der der Täter die Köpfe seiner Opfer entwendet.
Auch wenn Poe als Person hier relativ undeutlich bleibt, weiß der Detektivplot per se zu überzeugen.

Desirée Hoeses „Dunkel sind die Kammern deiner Träume“ lässt Howard P Lovecraft auf dem Anwesen Usher auf Poe treffen.
Die bezwingende Idee, Poe in seiner Gedankenwelt auf HPL treffen zu lassen wurde leider nicht ganz adäquat umgesetzt. Statt überwältigendem Horror erwartet den Leser eine etwas zurückhaltende, stille Story.

Ebenfalls neu aufgenommen wurde Tanya Carpenters „Geisterstunde“, ein Text der ganz mit dem Flair der Poe’schen Tradition spielt, der einen Erzähler präsentiert, der in einem Sarg zu sich kommt und der fast verrückt wird durch das regelmäßige Geräusch eines Pendels.

Florian Hillebergs informatives Essay sowie Portraits der Herausgeberin und des Illustrators schließen den Band dann ab.


Wie bereits angedeutet stechen insbesondere die atmosphärisch dichten Erzählungen aus der Feder von Erik Hauser, Florian Hilleberg, Barbara Büchner und Arthur Gordon Wolf aus den durchweg ansprechenden Geschichten heraus. Sie alle präsentieren uns einen etwas anderen Einblick auf einen der bedeutendsten Phantasten, nähern sich ihm aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel und faszinieren so ihre Leser.