Thilo Corzilius: Diebe der Nacht (Buch)

Thilo Corzilius
Diebe der Nacht
Hobbit Presse, 2020, Hardcover, 476 Seiten, 22,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Karl E. Aulbach

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Der Roman „Diebe der Nacht“ von Thilo Corzilius hat einige gewaltige Aufbaufehler, die den Lese-Genuss doch enorm stören. Wenn der Band nicht gerade das Lektorat der renommierten Hobbit-Presse durchlaufen hätte, könnte man meinen, dass es sich um Anfängerfehler handeln würde, was insoweit aber auch nicht ganz richtig wäre, da Thilo Corzilius mit „Ravinia“, „Dorn“ und einigen weiteren Publikationen aufwarten kann.

Also ist wohl eher davon auszugehen, dass der Aufbau bewusst so gewählt wurde, um sich von anderen Fantasy-Romanen abzusetzen. So ein ungewöhnliches Experiment kann funktionieren - „Der Herr der Ringe“ ist wohl das beste Beispiel dafür -, dann muss aber die Qualität an anderer Stelle massiv überzeugen, was hier leider nicht der Fall ist.

 

Worum geht es? Eine siebenköpfige Schauspielertruppe, davon jeder mit anderen Spezialfähigkeiten, ist mit einem fahrbaren Theater unterwegs. Hinter der Gruppe verbirgt sich gleichzeitig eine ganz ausgefeimte Bande von Dieben. Bei der Planung eines neuen Coups holt den ‚Mechanisten‘ der Truppe seine Vergangenheit in Form eines adligen Magietechnikers ein, der einen entsprechenden Spezialisten für die Reaktivierung eines jahrtausendealten Kriegsgeräts benötigt, das eine ausgestorbene Vorgängerzivilisation zurückgelassen hat.

Im Laufe der Rekrutierung kommt es zu Kämpfen, in deren Abfolge zwei aus der Gruppe, darunter der Mechanist, sterben. Der Magietechniker erpresst mit einer Geiselnahme daraufhin den Ziehsohn des Mechanisten zum Diebstahl einer Energiequelle, die in einem absolut sicheren Tresor im Palast des Herzogs untergebracht ist. Der entwickelt daraufhin einen schlauen Plan, bei dem allerdings nicht alles gut geht…


Ab diesem Zeitpunkt wird es dann mit der Handlung interessanter, und das Buch ist dann auch ganz nett lesbar. Der Anfang ist jedoch sehr zäh. Erst als ich in vier Anläufen bis auf Seite 57 gekommen war und schon überlegt hatte, das Buch aufzugeben, kam so etwas wie Lesefluss auf.

Aufbaufehler 1: Die Erwartung des Lesers, dass jetzt mal im Zuge eines Handlungsauftakts die Gefährten und ihre Fähigkeiten einzeln vorgestellt werden, wird enttäuscht. Dieses Versäumnis wurde versucht, mit acht Kapiteln - „Interludium I - VIII“ - nachzuholen. Dies war jedoch insofern ein Rohrkrepierer, als die „Interludien“ erst mitten in der Handlung, ab Seite 177, beginnen und ausgerechnet aus Sicht des zu diesem Zeitpunkt schon gestorbenen Mechanisten in Form von Vergangenheitsrückblenden präsentiert werden.

Das hätte nur funktionieren können, wenn der Mechanist - nennen wir ihn bei seinem Namen: Talmo - vorher als absolute Powerfigur wahnsinnig stark charakterisiert worden wäre. Der Charakter war aber bis dato, wie leider die anderen auch, absolut hohl und oberflächlich beschrieben. So bleiben dürre Beschreibungen, wie die einzelnen Mitglieder in der Vergangenheit der Gruppe beitraten, ohne dass dem Leser der jeweilige Charakter oder auch nur seine tiefere Motivation nähergebracht wird, geschweige denn, dass es großen Einfluss auf die laufende Handlung gehabt hätte.

Dass das Ganze bei den zu dieser Zeit bereits gestorbenen Menschen ohnehin nicht mehr von besonderem Interesse ist, muss, glaube ich, nicht näher erörtert werden.

Zweiter Fehler ist, dass die gesamte Truppe und der ganze Roman keine einzige Figur aufweisen, mit der sich ein Leser identifizieren könnte. Wenn schon Diebe die ‚Helden‘ eines Romans sein sollen, erwartet man ‚edle‘ Diebe, wie etwa Robin Hood. Hier findet man, objektiv betrachtet, einen moralisch verwerflichen Haufen von Dieben - logisch! -, aber auch üble schurkische Erpresser, schlimme Folterer, Mörder und unglaubhaft rachsüchtige Charaktere. Aus Sicht des Lesers also nur unsympathische Gestalten.

Es werden sich gewiss auch Rezensenten finden, die feststellen, dass das meiste davon wohl ‚realistische‘ Beschreibungen für Diebe sind. Dem muss man allerdings dann den Bruch entgegenhalten, dass ein normaler Dieb wohl, Ganovenehre hin oder her, die Flucht ergriffen und seine Beute gerettet hätte, statt sein Leben für die Befreiung einer Geisel aufs Spiel zu setzen, die in diesem Fall, da als Druckmittel untauglich, vielleicht sogar ohnehin wieder frei gelassen worden wären.

Ein Glossar ist normalerweise etwas ganz Schönes bei einem Buch. Hier hätte man es aber besser weggelassen, da es nicht viel zum Verständnis beiträgt, sondern, im Gegenteil, Fragen aufwirft.

Besonders auffällig ist, dass die kleinste Münze als Kupferspeso beschrieben wird und gleichzeitig die Aussage gebracht wird, dass ein Brot einen halben Speso kostet. Man kann sich unschwer vorstellen, dass ohne weitere Münzuntereinheiten wohl kaum ein normaler Handel erfolgen könnte.

„Diebe der Nacht“ ist alles in allem leider ein Roman, der zwar ab der Mitte noch unterhaltsam wird, den man aber wohl recht schnell wieder vergisst.