Steven Erikson: Rejoice - Die letzte Entscheidung (Buch)

Steven Erikson
Rejoice - Die letzte Entscheidung
(Rejoice, 2018)
Übersetzung: Andreas Decker
Piper,2019, Paperback, 520 Seiten, 18,00 EUR, ISBN 978-3-492-70558-5 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Der kanadische Phantastik-Autor Steven Erikson versucht sich hier an einem Update von Arthur C. Clarkes umstrittenem „Klassiker” The Last Generation (dt. als „Die letzte Generation“), einem der bekanntesten (und leider auch schlechtesten) Erstkontakt-Romane der SF.

Diesmal werden allerdings keine „rassisch minderwertigen” Aliens (diese Abwertung von Karellen und seinen Leuten macht Clarkes Buch ebenso unerträglich wie das völlige Fehlen von moralisch-ethischem Wachstum bei den Menschen, denn hier besteht „Fortentwicklung”, gemäß des Autors beschränktem Horizont, rein aus technischen Entwicklungen, was einfach nur peinlich ist!) auf die Erde geschickt, um die Menschheit auf ein höhere Stufe der Entwicklung zu heben, sondern, gemäß aktueller Entwicklungen, natürlich eine künstliche Intelligenz.

Deren Macht ist so groß und umfänglich, dass sie schützende Kraftfelder um jeden Menschen legen kann, der angegriffen wird. Von nun an ist keine körperliche Gewalt mehr möglich (keine Waffen wirken mehr), lediglich Festnahmen mit Handschellen werden noch zugelassen.

Da plötzlich niemand mehr Angst haben muss, sterben bei Erikson Angst und Wut ganz schnell ab, die Menschheit wird friedlich.

Dies ist leider nicht die einzige Prämisse, die an den Haaren herbeigezogen wirkt. Nur weil der Ehemann seine Frau nicht mehr schlagen kann und sie ihm kein heißes Fett mehr ins Gesicht schütten kann, werden die Menschen reifer?!

Ein, wie mir scheint, unreflektiertes Konzept. Zwar gibt es bei Erikson dann auch noch eine Art mental durchgeführte Psychotherapie, die dazu führen soll, dass Traumata sich auflösen, aber auch dieses Konzept erscheint sehr nebulös.

Auch andere Ansätze des Autors scheinen wenig durchdacht, sowohl der plötzliche Frieden in der muslimisch geprägten Welt durch einen neuen Prediger namens „Der lachende Imam” (an sich eine schöne Idee, sich einen religiösen Führer vorzustellen, der Humor hat und verzeihend ist), als auch das Nachlassen von turbokapitalistischer Ausbeutung der Mitmenschen durch einige Soziopathen und Narzissten.

Dazu verkauft der Autor allen Ernstes die berühmten grauen, großäugigen Aliens, die immerzu Menschen entführen und mit „Analsonden” traktieren, als real. Diese interstellaren Soziopathen werden von der KI vom Mond und aus dem Sonnensystem vertrieben, ernähren sich diese doch einzig und allein von der Qual und dem Elend anderer Intelligenzen. Warum die Schöpfer der supermächtigen KI diesen „Schmarotzern” bisher keinen Einhalt geboten und auch andere Intelligenzen außer den Menschen nicht vor diesen „Vampiren” beschützt haben, weiß allein der Autor (und wahrscheinlich nicht einmal dieser!).

Was aber möglicherweise noch schwerer wiegt als all diese Unzulänglichkeiten, ist das völlige Fehlen eines Spannungsbogens in dieser Geschichte.

Der Autor will die ganze Welt beobachten und verliert sich in den kurz angerissenen Schilderungen des Schicksals von Dutzenden Menschen, die man leider gar nicht als Protagonisten bezeichnen kann, denn keine dieser „Figuren“ (von Charakteren zu sprechen widerstrebt mir hier) lernt man gut genug kennen, damit sie als Identifikationsfigur dienen kann.

Da Erikson aber weder stilistisch brillant schreibt noch atmosphärisch dicht, bleibt allein der intellektuelle Kitzel der Erzählung, die den Leser (vielleicht) bei Laune halten kann und ihn motiviert, weiter zu lesen.

Insgesamt zahlt sich dieses Durchhalten leider nicht aus, denn trotz der guten Grundidee (aber die hat Arthur C. Clarke ja in den 50er Jahren auch schon brachial versemmelt), ist das Endergebnis sehr dürftig.

Und Spaß machen die sophistischen Klugscheißereien des Autors, die er hier in enervierende Dialoge verpackt, auch nicht.

Vollends lachhaft wird es dann, wenn der Autor seine Berufskollegen zu Experten für den Erstkontakt ernennt, nur diese angeblich die ausgeprägte „Phantasie” haben, sich den Wandel durch das Eingreifen der „fremden Macht” (hier meist E.T. genannt) vorzustellen und an die Mitmenschen zu kommunizieren (weshalb auch eine kanadische SF-Autorin von der KI entführt wird, um irgendwann mit der Menschheit zu sprechen, was dann aber fast 500 Seiten lang dauert, bis dies passiert; schnarch!).

So muss man leider konstatieren, dass der Autor diese Geschichte ebenfalls in den Sand gesetzt hat; zwar nicht so fulminant wie sein Vorgänger, aber leider mit ähnlichen Auswirkungen: Denn „Rejoice  - Die letzte Entscheidung“ ist, trotz der interessanten Grundidee, zweifellos ein megalangweiliges Buch und lohnt die investierte Zeit kaum. Nur wer dieses Thema absolut liebt, sollte sich diese Geschichte antun.