ARS LITTERAE 5: Unter dem Vollmond, Linda Budinger (Buch)

Linda Budinger
Unter dem Vollmond
ARS LITTERAE 5
Titelillustration von Andrä Martyna
Sieben, 2010, Paperback, 200 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-940235-91-6

Christel Scheja

Die Leichlinger Autorin Linda Budinger ist vielen sicherlich schon durch ihre drei „DSA“-Romane und „Die Nebelburg“, den Auftakt der „Greifenritter von Alnoris“-Trilogie, bekannt. Zudem hat sie bereits durch viele Kurzgeschichten bewiesen, dass sie sich auch in anderen Bereichen der Fantasy, vornehmlich der düsteren Phantastik, sicher bewegt. „Unter dem Vollmond“ ist allerdings der erste Roman in diesem Bereich.

Nach einem schweren Autounfall in ihrer Kindheit ist Verena in der Lage, die Auren von Menschen wahrzunehmen. Sie kann zwar inzwischen einschätzen, ob jemand in den nächsten Tagen oder Stunden sterben wird, mehr aber auch nicht. Dennoch bringt sie die Gabe immer wieder in Schwierigkeiten, so dass sie nicht einmal ihren wenigen guten Freunden davon erzählt. Da sie durch den Unfall auch körperliche Handicaps hat, arbeitet sie, nur mehr oder weniger schlecht bezahlt, als Aushilfs-Krankenschwester und Pflegerin und führt ein eher ereignisloses Leben. Dann aber überstürzen sich die Ereignisse. Noch bevor sie auf dem Nachhauseweg eine zerstückelte Leiche findet, hat sie das Gefühl, überall hin verfolgt zu werden. Danach versteckt sie sich vor sensationshungrigen Reportern und verliert durch den Tumult um sie ihre Arbeit. Glücklicherweise erhält sie just zur gleichen Zeit ein neues Angebot: Sie soll auf einem norddeutschen Landgut eine alte Frau pflegen. Verena nimmt an und kommt so in das einsam gelegene Herrenhaus Weißenbach, in dem viele Dinge nicht so laufen, wie sie es gewohnt ist. Nicht nur, dass sie längere Wege auf sich nehmen muss, da das neue Gebäude nur ein weit älteres ummantelt, sondern auch den charismatischen Hausherrn und seine strenge Mutter umgeben zahlreiche Geheimnisse. Als sich Verena schließlich genauer umsieht, erlebt sie so manche Überraschung, und die Albträume von dem Unfall, die sie immer wieder gequält haben, werden nun durch viel schlimmere und lebendigere Visionen von Ereignissen ersetzt, die in und um Weißenbach geschehen sein müssen ... Das allein ist Grund genug, um die Flucht zu ergreifen – oder sich den Geheimnissen zu stellen, die nun mit aller Macht an die Oberfläche drängen.

„Unter dem Vollmond“ ist ein romantischer Thriller, wie er im Buche steht: Eine nichts ahnende junge Frau, die über eine seltene Gabe verfügt, gelangt auf ein altes und von Geheimnissen umwittertes Landgut und kommt dort seltsamen Geschehnissen auf die Spur, die mehr mit ihr selbst zu tun haben, als sie bisher ahnte. Und nicht zuletzt findet sie dort auch jemanden für die Liebe. Die Autorin macht keinen Hehl daraus, sich an die Klassiker des Genres wie „Northanger Abbey“, „Das Haus der Lady Alquist“ oder „Rebecca“ anzulehnen und mit einem Schuss „Die Insel des Dr. Moreau“ zu würzen. Gerade das gibt dem Roman eine sehr intensive und lebendige Atmosphäre, die in den Bann zu schlagen weiß. Auch das hübsche Titelbild und die Innenillustrationen tun ihr Übriges dazu, um die Stimmung zu verstärken. Auch nimmt sich Linda Budinger genug Zeit, um Verena einzuführen und den überraschend vielschichtigen Charakter der Heldin auszuarbeiten. Und je weiter man kommt, desto mehr merkt man, dass auch am Anfang bereits einige kleine Details auf das Ende hinarbeiten und wichtige Hinweise geben. Allein die Auflösung wirkt etwas zu überhastet. Aber gerade im letzten Viertel des Buches bleibt nicht mehr ganz so viel Zeit, um alle Informationen zu verarbeiten, da alles Schlag auf Schlag geht und überraschend weitere Figuren dazu kommen, so dass man den Abschluss nicht ganz ungetrübt genießen kann. Vor allem die Liebesbeziehung wirkt nicht besonders ausgereift, und man hat eigentlich das Gefühl, dass sie gar nicht nötig gewesen wäre. Die eigentliche Geschichte mit ihren ganzen Geheimnissen löst sich aber logisch und so ansprechend wie stimmungsvoll auf. Sie lässt keine weiteren Fragen offen, so dass man die Lektüre dennoch mit Zufriedenheit abschließen kann und nicht enttäuscht ist.

Alles in allem ist „Unter dem Vollmond“ ein spannender und atmosphärischer Thriller, dem man ein etwas ausführlicheres Ende wünschen würde, um ihn perfekt zu machen. Aber auch schon so ist er romantische Mystery, die weit über dem Durchschnitt herausragt.