Dominique Manotti: Kesseltreiben (Buch)

Dominique Manotti
Kesseltreiben
(Racket, 2018)
Übersetzung: Iris Konopik
Argument, 2018, Hardcover, 400 Seiten, 20,00 EUR, ISBN 978-3-86754-231-9 (auch als eBook erhältlich) 

Rezension von Irene Salzmann

Commandant Noria Ghozali wird in die Abteilung zum Schutz der wirtschaftlichen Sicherheit versetzt, wo sie sich mit einem Aufgabengebiet konfrontiert sieht, von dem sie nicht die geringste Ahnung hat, so dass sie sich auf ihre erfahrenen Kollegen Capitaine Fabrice Reverdy und Lieutnant Christophe Lainé verlassen muss. Indem sie den beiden offen den Grund für ihre Versetzung schildert und ihre Unkenntnis zugibt, kann sie bei den Männern punkten, so dass sie schnell ein funktionierendes Team bilden.

Bei ihren Ermittlungen stoßen sie auf die Vorbereitungen zur Übernahme eines großen Energiekonzerns durch eine amerikanische Firma. Gelingt der Deal, gibt Frankreich nicht bloß ein Schlüsselunternehmen des Versorgungssektors aus der Hand, sondern ein sicherheitsrelevantes Teil der nationalen Atomindustrie.

Die Beamten sind fassungslos, als sie herausfinden, dass die Übernahme schon vor Jahren eingefädelt wurde mit Hilfe von Strohmännern, Schmiergeldern, Erpressung, Entlassungen, Marktmanipulationen und Mord. Alles deutet darauf hin, dass CIA und NSA involviert sind. Die Firmenleitung von Orstam dementiert etwaige Verkaufsabsichten trotz angeblicher Liquiditätsprobleme. Diese Aussage und die von Politikern angeforderten Expertisen, welche dem Unternehmen stabile Finanzen bescheinigen, werden für glaubwürdiger befunden als die Berichte der Polizei.

Als die Bombe platzt, ist die Übernahme bereits unter Dach und Fach, juristisch nicht anfechtbar, und die Mörder der kleinen Handlanger sind entkommen - für die Ermittler, die die Zusammenhänge aufdecken und Namen nennen konnten, eine bittere Pille.


Die emeritierte Wirtschaftshistorikerin Dominique Manotti ließ sich für ihren zehnten von Argument publizierten Krimi von der Übernahme der französischen Alstom Énergie durch das amerikanische Unternehmen General Electric in den Jahren 2013 bis 2015 inspirieren.

In „Kesseltreiben“ tauchen zwei bekannte Charaktere auf, die dem Leser aus den anderen Büchern bereits bekannt sind: als Nebenfigur Ex-Kommissar Théo Daquin, der nun an der Hochschule für politische Studien lehrt und Noria Ghozali, nicht mehr junge Polizistin sondern desillusionierte Leiterin eines kleinen Teams in der Abteilung wirtschaftliche Sicherheit, mit ihren Kenntnissen aushelfen kann. Ghozali hat hier ihren dritten Auftritt.
Die Autorin hat die Handlung chronologisch angelegt, von April bis September 2013 (auch die NSA-Affäre - das Ausspionieren verbündeter Nationen - und Whistleblower Snowden finden eine kurze Erwähnung). Alle relevanten Geschehnisse, die mit der erfolgreichen Übernahme von Orstam enden, werden erfasst in eher kurzen Szenen an wechselnden Schauplätzen mit vielen Beteiligten, die kleine oder große Rollen innehaben, obwohl sie schlussendlich bloß winzige Rädchen im Getriebe sind und jeder von ihnen durch einen anderen ersetzt werden kann.

Genauso wie die ermittelnden Beamten verspürt der Leser ein ohnmächtiges Entsetzen angesichts der fiktiven Enthüllungen, dass die Übernahme schon vor Jahren minutiös geplant wurde, und wie die amerikanischen Geheimdienste ihre Leute an den richtigen Stellen positionierten, um die Personen, die sie zu benutzen beabsichtigen, gefügig zu machen: durch minderjährige Prostituierte und Drogenpartys, gut bezahlte Jobs in Scheinfirmen für Geldwäsche, die Aussicht auf eine Spitzenposition im Gegenzug für einige Gefälligkeiten, das Wissen um tödliche, nicht geahndete Unfälle und andere Delikte, die die Betroffenen erpressbar machen. Selbst jene, denen man nichts vorwerfen kann, haben irgendwo eine verwundbare Stelle, an der gnadenlos angesetzt wird, wenn man sie aus dem Spiel nehmen will, beispielsweise die Familie, eine belanglose Nachlässigkeit, eine unerwartete Entlassung mit großzügiger Abfindung.

Die Politiker erweisen sich als die Marionetten der wahren Machthaber, den Wirtschaftsgiganten und Geheimdiensten. Sie fürchten die Überlegenheit und Skrupellosigkeit der Amerikaner und ducken sich weg, sobald bekannt wird, dass diese mitmischen. Längst ist ein politisches Amt zur Eintrittskarte in einen Selbstbedienungsladen geworden, in dem man mitnimmt, was man kriegen kann, so lange man die Gelegenheit dazu hat, von Geld bis einflussreiche Verbindungen, die in der Zeit danach zu einem hoch dotierten Posten in der Wirtschaft verhelfen sollen. Statt sich selbst mit einer Problematik auseinanderzusetzen, werden Experten mit Steuergeldern bezahlt, die Wunschexpertisen liefern. Die Polizeiarbeit wird durch Bürokratie, Verschleppung und Weisungen behindert.

Überträgt man das Gelesene auf die aktuelle Situation in Deutschland, erlaubt das einige Spekulationen. So könnte man die nicht erst seit 2015 laufende Migration und die Klima-Hysterie (in den 70er Jahren warnte man vor einer kommenden Eiszeit, und nachdem sie ausblieb, wurde auf Klimaerwärmung umgesattelt) als Ablenkungsmanöver werten von den anstehenden Massenentlassungen bei namhaften Konzernen (BASF, Scheffler, Ford etc.). Diese wiederum werden auch die Zulieferer und Versorger (Bäcker, Restaurants usw.) erfassen, was zu noch mehr Stellenabbau führt. Nicht zu vergessen: Die USA hat ein Strafverfahren unter anderem gegen die Deutsche Bank und VW eingeleitet, wobei es um viel Geld geht. Die deutsche Regierung bleibt auffällig schweigsam.

Man ist durchaus geneigt, Parallelen zur Romanhandlung zu sehen. Eine konzertierte Aktion gegen Autoindustrie, Elektronikkonzerne, Banken etc. hätte eine fatale Schwächung der deutschen Wirtschaft und somit der EU zur Folge, wovon die USA profitiert. Zufall? Verschwörungstheorie? Ein perfider Handelskrieg?

Die Autorin beschreibt präzise die Vorgänge in einem knappen, trockenen, manchmal schon fast abgehackten Stil, der den Leser zu auf den Punkt gebrachte Recherchen mitnimmt. Es gibt kein überflüssiges Umschreiben, nur das Wesentliche wird zusammengefasst. Die Charaktere wahren, obwohl man viel Persönliches über sie erfährt, Distanz und sind durch ihre Kühle nicht wirklich sympathisch; die kleinen und großen Ganoven sollen es auch gar nicht sein. Obwohl das Thema für einen Krimi ziemlich ungewöhnlich ist und wohl nur ein kleiner Teil des Publikums sich in Wirtschaftsfragen auskennen dürfte, ist man fasziniert und eben auch betroffen angesichts der Dinge, die hinter den Kulissen ohne das Wissen der Bürger ablaufen.

Ein beeindruckender Roman, der nicht so bald vergessen sein wird.