Neil Gaiman Bibliothek: Mordmysterien (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 07. August 2010 15:10
Neil Gaiman Bibliothek
Mordmysterien
(Neil Gaiman Murder Mysteries, 2002)
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Titelillustration und Zeichnungen von P. Craig Russell
Farbe von Lovern Kindzierski
Panini, 2010, Hardcover, 68 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-86607-933-5
Frank Drehmel
Einen namenlosen Briten mittleren Alters verschlägt es nach Los Angeles. Nachdem er hier belanglosen Sex mit einer alten Freundin hatte und sich deren Lobpreisungen ihrer kleinen Tochter anhören durfte, wandert er nun nächtens durch die Stadt, leer, ausgelaugt und irritiert durch eine Erinnerungslücke. Als er sich auf einer Parkbank niederlässt, setzt sich ein altersloser Mann zu ihm, bittet ihn um etwas zum Rauchen und dankt die Zigarette und die Streichhölzer des Engländers schließlich mit einer Geschichte.
Der Fremde beginnt von der Silberstadt zu erzählen, der Heimstatt der Engel und des Namens, der Stätte der Schöpfung, an der die geschlechtslosen Wesen an fundamentalen Konzepten oder dem Universum selbst forschten. Sein Name an diesem wunderbaren Ort lautete Raguel; hier schlief er, bis er eines Tages von Luzifer geweckt wurde, um seine Rolle im himmlischen Spiel auszufüllen. Raguel war die Rache des Herrn; ihm oblag die Aufklärung eines Mordes an einem Bruder, dem Engel Casarel. Dieser Engel beschäftigte sich vor seinem Verlöschen zunächst mit dem Konzept der Liebe und später mit dem Konzept des Todes. Aus Liebe vereinigte er sich mit einem Bruder, verlor jedoch das Interesse an seinem Geliebten und wurde daraufhin von diesem aus Eifersucht getötet. Doch so schnell der Fall gelöst war und der Täter bestraft wurde, so sicher war Raguel, dass hinter den Ereignissen mehr steckte. Und tatsächlich enthüllte sich ihm eine Wahrheit, die ihn verzweifeln und die Silberstadt verlassen ließ.
Hier endet die Geschichte des seltsamen Fremden, der seinem Gönner, bevor er geht, noch ein weiteres Geschenk macht: eine Erinnerung, die so dunkel ist, wie die Nacht, durch die der Mann wandert.
„Mordmysterien“ basiert auf einer Kurzgeschichte des britischen Phantastik-Autors Neil Gaiman, der unter anderem mit seiner „Sandman“-Comic-Serie, die mittlerweile mit Fug und Recht zu den Referenz-Werken des gesamten Genres gezählt werden darf, in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts international für Furore sorgte. Die Adaption der Story für das vorliegende Comic erfolgte durch P. Craig Russel, seines Zeichens preisgekrönter Künstler, dessen bevorzugtes Sujet vornehmlich – aber nicht nur – in sämtlichen Spielarten der Fantasy zu sehen ist.
Bedauerlicherweise vermag „Mordmysterien“ sowohl in Bezug auf das Artwork, als auch auf die Story nicht gänzlich zu überzeugen. Künstlerisch zeichnet sich der Comic durch Russels leichten, mehr skizzierenden als elaborierten Duktus aus, der nahezu perfekt das Ephemere, das flüchtig Himmlische, das Engelhafte visualisiert. Allerdings wirken mehr als nur einige Zeichnungen eher gelangweilt hingeschludert, als bewusst komponiert oder von einem bedachten Stilmitteleinsatz zeugend. Zudem weisen gerade die Figuren in den totalen und halbtotalen Perspektiven fast schon eklatante Schwächen in ihren Proportionen und Mimiken auf. Darüber hinaus sind Seitenlayout und Koloration in weiten Teilen wenig überzeugend, da sie trotz eines unstetigen, unruhigen Gesamteindrucks relativ statisch und uninspiriert daherkommen.
Die Geschichte selbst erschließt sich – Gaiman-typisch – nicht sofort beziehungsweise nicht eindeutig, sondern ist zum einen mit ihren unterschiedlichen Erzählebenen, auf die der Autor im Verlauf der Story mehrmals verweist, vergleichsweise anspruchsvoll konstruiert und bietet hinsichtlich ihrer Metaphorik, Fragestellungen und Aussagen zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten. Übt Gaiman nun Kritik an einem landläufigen Gottestbild – beziehungsweise welchem Gottesbild folgt er überhaupt –, möchte er dem Leser Ursachen und Bedeutung von Widerstand (Luzifer) oder Emigration (Raguel) innerhalb eines totalitären Systems (Gottes Herrschaft) vor Augen führen oder will er einfach nur auf phantastische Art und Weise ohne ernsthafte philosophische Untertöne unterhalten? Dadurch, dass man als Leser frei in seiner Spekulation ist, wirkt die ganze Geschichte trotz eines originellen Ansatzes etwas beliebig mit dem Hang zum poserhaften Schein, dem es an Tiefe fehlt oder fehlen könnte.
Fazit: Ein Comic, das sowohl in Artwork wie Story in Teilen oberflächlich wirkt und daher nicht vollends zu überzeugen vermag.