Christelle Dabos: Die Verlobten des Winters - Die Spiegelreisende 1 (Hörbuch)

Christelle Dabos
Die Verlobten des Winters
Die Spiegelreisende 1
(La Passe-miroir, Livre 1. Les Fiancés de l’hiver, 2013)
Übersetzung: Amelie Thoma
Gekürzte Lesung von Laura Maire
Lesefassung: Astrid Roth
Hörverlag, 2019, 2 mp3-CD, ca. 747 Minuten, ca. 9,90 EUR, ISBN 978-3-8445-3357-6

Rezension von Irene Salzmann

Die Erde ist zerbrochen. Um den Rest von ihr kreisen 21 Archen, auf denen verschiedene Clans leben, deren Angehörige unterschiedliche Begabungen haben. Ophelia lebt auf der Arche „Anima“ und kann die Geschichte jedes Gegenstands ‚lesen‘, den sie berührt. Außerdem ist sie in der Lage, durch Spiegel und spiegelnde Flächen zu reisen.

Gegen ihren Willen soll sie mit Thorn vom Drachenclan verheiratet werden und mit ihm auf der Arche „Pol“ leben. Thorn ist über die arrangierte Verlobung ebensowenig glücklich wie sie, doch beide fügen sich, denn es hätte empfindliche Konsequenzen für das Paar, wenn die Verbindung nicht zustande käme.

Kaum angekommen, wird Ophelia gezwungen, ihre Identität zu verleugnen, sich zu verbergen und schließlich als Diener von Thorns Tante auszugeben, denn ihr Zukünftiger hat viele Feinde, und ein so unbedarftes Mädchen würde in dieser grausamen Welt der Illusionen und Intrigen nicht lange überleben. Nach und nach fasst Ophelia Vertrauen zu Thorn - und wird grausam enttäuscht, als sie herausfindet, weshalb sie seine Frau werden soll und inwieweit er selbst in die Geheimnisse, die man vor ihr hütet, verstrickt ist.


Dafür, dass „Die Spiegelreisende“-Tetralogie an ein Publikum ab 12 Jahre adressiert ist, zieht sich die Geschichte recht lange hin. Ophelia bringt sich immer wieder in unangenehme Situationen und wird obendrein von denen schikaniert, denen sie als Schützling anvertraut wurde. Von den fortwährenden Demütigungen zu lesen beziehungsweise hören, die ihren Teil dazu beitragen, dass die detaillierte Handlung auf der Stelle tritt, macht wenig Spaß.

Stück für Stück lernt die Protagonistin ihre neue Heimat kennen und muss erfahren, dass sie niemandem vertrauen darf und all der dekadente Glamour ein morsches, morbides Gesellschaftssystem übertüncht. Obwohl Thorn ihr prophezeit hat, dass sie in seiner Welt nicht überleben wird, überrascht sie ihn durch ihren starken Willen, ihr Durchhaltevermögen und dass sie die Lügengespinste der „Pol“-Bewohner zu durchschauen vermag.

Schließlich findet Ophelia den Grund für die unerwünschte Ehe heraus, doch scheint das nur die Spitze vom Eisberg zu sein, denn sie wird benötigt, ein großes Geheimnis zu ergründen. Offenbar ist Thorn nicht bloß ein Werkzeug wie sie, sondern eine der treibenden Kräfte in dieser Angelegenheit. Zutiefst von seiner Unaufrichtigkeit enttäuscht, akzeptiert sie den Schutz eines Mannes, von dem sie genau weiß, dass er ein Blender ist und sie ebenfalls benutzen wird, wenn es seinen persönlichen Interessen dient.

Der erste Band endet relativ offen, denn Ophelia ist, nachdem neue Allianzen geschmiedet wurden, keineswegs in Sicherheit, eher das Gegenteil ist der Fall, denn sie soll dem Familiengeist vorgestellt werden, einem gottgleichen, unsterblichen Wesen, das sich zwar unter seinen Nachkommen regelmäßig Gespielinnen aussucht, aber die eigene Menschlichkeit im Laufe der Generationen verloren hat. Weder über ihn noch die anderen seiner Art wurde bislang viel verraten, so dass man die weiteren Bände abwarten muss, um mehr zu erfahren. Tatsächlich ist man am Schluss doch sehr neugierig und möchte wissen, wie es weitergeht und was Ophelia noch alles erleben wird, wer es wirklich gut mit ihr meint und was hinter den Familiengeistern steckt.

Laura Maire liest das Buch mit verstellter Stimme. Während sie Ophelia schüchtern und leise ihre Worte hauchen lässt, treten die anderen Charaktere selbstbewusst auf. Die männlichen Protagonisten spricht sie tiefer, laut und dominant, was manchmal unfreiwillig komisch klingt. Hier wäre ein bisschen weniger eindeutig mehr gewesen.

Zu sehen ist die Schauspielerin unter anderem in „Verdammt verliebt“ und in einigen Folgen von „Die Rosenheim-Cops“ und „Der Bulle von Tölz“. Ihre Stimme lieh sie beispielsweise der Figur Alice Cullen aus den „Twilight“-Filmen und Judy Shepherd in „Jumanji“. An weiteren Hörbüchern las sie Ottfried Preußlers „Die kleine Hexe“ und Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“.

Die meisten phantastischen Bücher werden aus dem angloamerikanischen Sprachraum importiert. Christelle Dabos beweist, dass es sich lohnt, auch Publikationen aus Frankreich und anderen Länder eine Chance zu geben, denn dort stößt man ebenfalls auf Autoren mit spannenden Ideen.