Alisha Bionda (Hrsg.): Moriturus - Der Letzte heißt nicht Tod (Buch)

Alisha Bionda (Hrsg.)
Moriturus - Der Letzte heißt nicht Tod
Titelbild und Innenillustration: Atelier Bonzai
Fabylon, 2018, Hardcover, 232 Seiten, 18,00 EUR, ISBN 978-3-946773-09-2 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Elmar Huber

„Als ich zum ersten Mal einen Zombie gesehen habe, war ich noch keine zehn Jahre alt. Es war Angst einflößend und makaber. Es war abstoßend. Aber es war auch unglaublich faszinierend. Die Szenerie ging mir sehr nahe. Sie berührte mich tief in meiner Seele. Und sie ließ mich mein gesamtes Leben lang nicht wieder los.“ (Stefan Lindner: „Doc Zombie“)

Stefan Lindner: „Doc Zombie“.
Während seine Kollegen nach einem Serienmörder fahnden, der sich auf Prostituierte spezialisiert hat, soll Ethan Parker den Fall eines in New Orleans verschwundenen deutschen Arztes untersuchen. Josef Meese, Kind einer Deutschen und eines G. I., dessen Wurzeln nach New Orleans reichen. In den Aufzeichnungen des Verschollenen schildert er, wie er als Kind Zeuge eines Voodoo-Rituals war, bei dem ein Toter wiederbelebt wurde. Eine Erfahrung, die offenbar auch sein medizinisches Wirken beeinflusst hat. Wegen seiner Experimente und Thesen nannte man Meese ‚Dr. Frankenstein‘.

Michael Siefener: „Kult“.
Eines Tages erhält der allein lebende Edgar Mandelkern unvermittelt den Brief eines jungen Fans, eines Bewunderers seiner raren schriftstellerischen Arbeiten, deren Veröffentlichung bereits an die zwanzig Jahre zurückliegt. Ein zweiter Brief, fordernder formuliert, wirkt regelrecht bedrohlich auf Mendelkern. Ebenso wie die geheimnisvollen Graffiti, die seit Kurzem überall in seiner Umgebung auftauchen. Zeigen zwei davon nicht sogar seine verstorbene Frau und Tochter?

Marc-Alastor E.-E.: „Der Letzte heißt nicht Tod“
Müde nach all seinen Reisen und einsam nach dem Tod seiner Frau will sich Dietrich Cappenberg für seinen Lebensabend in ein Haus am Comer See zurückziehen. Sein Weg dorthin ist von einigen merkwürdigen Ereignissen begleitet. Auch scheint sein neues Refugium keinen guten Leumund zu genießen. Eine zufällige Beobachtung lässt ihn schließlich das Geheimnis entdecken, das das Haus verbirgt.

Bernd Rümmelein: „Z“
„Z“ hat die Stadt voll im Griff. Wie aus dem Nichts hat sich die Krankheit rasend schnell ausgebreitet, und die Toten wandeln nun auf den Straßen, auf der Jagd nach lebendem Fleisch. Mitleid an falscher Stelle hat auch David infiziert und zu einem Zombie gemacht, ebenso wie seine Freundin. Gemeinsam folgen sie nun dem Ruf, den nur die lebenden Toten vernehmen können. Dem Ruf von „Z“.

Lukas Hainer: „Ratten“
Seit frühester Kindheit leben Amy, Toby und Sid auf der Müllhalde von Nine Tails, wo sie alles zum Überleben finden. Ein angenehmes Leben ist das nicht, und so greift Amy zu, als ihr ein Anzugmann eine Ampulle mit Unsterblichkeitsserum überreicht. Mit dem Mittel wird nicht nur das Schmerzempfinden betäubt, sie überleben auch die heftigsten Verletzungen. Im Gegenzug soll das Trio ins Talnot-Labor eindringen und einige Ratten aus einem Glaskäfig stehlen. Doch dazu müssen sie eine Reihe tödlicher Verteidigungsmechanismen überwinden.

Thomas Vaucher: „bCrown“
Fast die Hälfte der Menschheit besitzt inzwischen eine bCrown, ein per Gedanken gesteuertes Gerät, das Handy, Fernsehapparat, Uhr, Computer etc. ersetzt und Bilder und Töne direkt ins Gehirn projiziert. Connor gehört zu den wenigen Menschen, bei denen das Gerät Kopfschmerzen verursacht und der dankend darauf verzichtet. So ist auch er es, der bemerkt, wie sich die Menschen um ihn herum, plötzlich verändern, grundlos aggressiv werden und sogar zu töten bereit sind.

Alex „Lex“ Wohnhaas: „Der Fluch aus dem Amazonas“
Nachdem Annabelle Wagenstein am Amazonas von einem Käfer gebissen wurde und immer schwächer wird, beschließt ihr Mann, Dr. Albertus Wagenstein, ins heimatliche Bayern zurückzukehren, um seine Frau zu pflegen. Die unbekannte Krankheit bringt sie Tag für Tag dem Tod näher, die schulmedizinischen Untersuchungen des Doktors zeigen keine Fortschritte. Erst ein unorthodoxes Experiment führt zu einer Besserung. Doch nun legt Annabelle einen unerklärlichen Blutdurst an den Tag, einhergehend mit einer schmerzhaften Abneigung gegen das Tageslicht.

Dieter Winkler: „Feuervogel“
Ausgerechnet vor dem Gig, der den Durchbruch für die Band bedeuten könnte, wird Sängerin Conny aus der Garderobe entführt. Während der Rest der Musiker auf der Suche nach ihr ist, taucht plötzlich ausgerechnet der finstere Typ in ihrem Gefängnis auf, der sie schon einige Tage verfolgt. Er erzählt ihr vom Seelenfänger und den Jägern, die ihm schon seit Generationen auf der Spur sind.

Tanya Carpenter: „Das gläserne Gefängnis“
Nach einer alarmieren Nachricht macht sich Cassandra auf die Suche nach ihrem Verlobten Dan, der in New Orleans für einen Zeitungsartikel über Voodoo recherchieren wollte. Für die Polizei vor Ort besteht kein Grund, tätig zu werden, so dass Cassandra Dans Spuren auf eigene Faust folgt und sich dabei immer tiefer in das Geflecht dieser Religion und ihrer Vertreter verstrickt. Fast scheint es, als wäre Dan auf der Suche nach den übelsten Auswüchsen des Voodoo-Kultes gewesen.

„Der parasitäre Einzeller ist mutiert, hat eine neue Form angenommen und scheint nun aggressiv Annabelles rote Blutkörperchen anzugreifen, was zu einer akuten Blutarmut führt, die auch ein äußerst skurriles, ja, entsetzliches Ereignis erklärt. Vor zwei Nächten hörte ich aus Annabelles Zimmer ein schauriges Schluchzen und Schmatzen. Ich eilte in großer Sorge zu ihr, und da sah ich sie in schlafwandlerischer Trance, wie sie ihren Wellensittichen die Köpfe abbiss und ihr Blut trank.“ (Alex „Lex“ Wohnhaas: „Der Fluch aus dem Amazonas“)


„Etwas andere Zombie-Anthologie“, kündigt Herausgeberin Alisha Bionda im Vorwort an. ‚Schöngeistig‘, also, weniger „The Walking Dead“ und mehr „Ich folgte einem Zombie“. Zwar sind nicht alle Beiträge besonders poetisch zu nennen, doch gelingt es den Autorinnen und Autoren, dem arg strapazierten Thema überwiegend noch einige originelle Seiten abzugewinnen. Als weitere Besonderheit wurden einige Storys von Musikern verfasst (Gebrüder Thot, Mitglieder von „Emerald“, „Wolfsherz“, „Megaherz“).

Schon Stefan Lindners „Doc Zombie“ gefällt mit seiner Hard-Boiled-Attitüde und der Tatsache, dass man als Leser am Ende selbst seine Schlüsse aus dem Gelesenen ziehen muss, wobei sich ein bedrückendes Gefühl einstellt. Auch Michael Siefener pflegt mehr die surreale Stimmung, die man von seinen Geschichten gewohnt ist, als dass er kübelweise Blut vergießt. Atmosphärisch ähnlich präsentiert sich die Titelgeschichte von Marc-Alastor E.-E., in der der Autor eine unwirkliche und eindringliche ‚Zwischenreich-Stimmung‘ aufzubauen vermag und die in ihrem altertümlichen Duktus an Edgar Allan Poe erinnert.

Bernd Rümmeleins Untote aus „Z“ entsprechen am Ehesten den ‚modernen‘ Zombies, was die Geschichte innerhalb der Sammlung am wenigsten originell macht. Auch Lukas Heiner und Thomas Vaucher bewegen sich in modernen Gefilden, doch haben beide sehr viel eigenständigere Ideen. „Ratten“ gefällt außerdem mit seinem ordentlichen Erzähltempo, ‚lebendigen‘ Charakteren und einem fiesen finalen Story-Twist, „bCrown“ mit seiner Weiterentwicklung der ‚Smombies‘.

Lex Wohnhaas beackert wieder historisches Terrain, und sein „Der Fluch aus dem Amazonas“ könnte eine profane Vampirgeschichte sein, würde dieses Horror-Drama nicht über die subjektiven Tagebuch-Einträge zweier verschiedener Personen - eine davon die Untote selbst - erzählt, was die Eindringlichkeit erheblich gesteigert.

Urban Fantasy liefert Dieter Winklers „Feuervogel“. Die Story, die in der Musiker-Szene spielt, hinterlässt für die Kürze einen überladenen und unausgereiften Eindruck.

Tanya Carpenters „Das gläserne Gefängnis“ spielt wie „Doc Zombie“ in New Orleans und zeigt sich zu Anfang auch im Aufbau ähnlich, bevor sich die Geschichte in eine ganz andere Richtung entwickelt. Damit schließt sich der Kreis der Erzählungen sehr schön, so dass „Moriturus“ auf angenehme Art rund und abgeschlossen wirkt.

Die vorliegende ebook-Version ist etwas abgespeckt. Die parallel erhältliche Hardcover-Ausgabe ist zusätzlich illustriert - jede Geschichte enthält eine Entry-Grafik - und von den Autorinnen und Autoren signiert.

„Moriturus - Der Letzte heißt nicht Tod“ ist die etwas andere Untoten-Sammlung, die mit einigen ungewöhnlichen Settings und Stimmungen überrascht.