Reinhold Ziegler: Grid Alive (Buch)

Reinhold Ziegler
Grid Alive
Titelillustration von Coneyl Jay
Ueberreuter, 2010, Hardcover, 272 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-8000-5570-8

Carsten Kuhr

Künstliche Intelligenz ist ein Traum, den die Menschheit seit Anbeginn der Zeiten träumt. Sich selbst zum Schöpfer aufschwingen, eine Maschine schaffen, die selbstständig Denken und Entscheidungen fällen kann, ein Traum – einer, der Gefahren birgt.

Der Autor entführt uns in eine kleine deutsche Stadt. Wir lernen fünf Jugendliche kennen. Ljusja und ihre Freundin Anabell, die gerade mit Robert, einem selbstverliebten Informatik-Studenten, Schluss macht. Nils, der in die große, blonde Anabell verliebt ist, und Joker, der geistige Überflieger mit gestörter Kindheit, werden uns vorgestellt. Schnell wird deutlich, dass es zwischenmenschlich gefunkt hat. Nils und Anabell, Ljusja und Joker, das wären die Paare, die zueinander finden sollten. Doch da haben das Schicksal und der Autor auch noch mitzureden.

Beginnen wir am Anfang. Joker, der aus zerrütteten Familienverhältnissen stammt aber dank seines außergewöhnlich hohen Intelligenzquotienten und dem fotographischen Gedächtnis schulisch nie Probleme hat, ist ein Nerd aus dem Lehrbuch. In seiner im väterlichen Garten befindlichen Hütte hat er sich sein eigenes Computerreich geschaffen. Hier grübelt und bastelt er, scheinbar unbeeindruckt von den Avancen die Ljisja ihm macht, an seinem großen Traum. Mit Grid will er den internationalen Wettlauf um die erste KI gewinnen. Für seinen Traum ist er bereit, alles zu geben. Er hat sich auf den Universitätsrechnern eingehackt, und dort sein Programm installiert. Trotz aller durchwachten Nächte vor dem Bildschirm aber lässt seine Verehrerin nicht locker. Langsam, fast zögerlich, öffnet er sich Ljusja, erzählt ihr von seiner drogensüchtigen Mutter, seinem trinkenden Vater. Und er lässt seine neuen Freunde an seiner Schöpfung teilhaben. Als er aber merkt, dass Grid ihm entwachsen ist, dass er die von ihm geschaffene Intelligenz nicht mehr beeinflussen geschweige denn beherrschen kann, ist es zu spät -- denn Grid schickt sich an, die Welt nach seinen Vorstellungen zu ordnen -- und für vermeintliche Kränkungen blutig Rache zu nehmen ...

Reinhold Ziegler verpackt seine deutlich Warnung vor den Gefahren, die durch allzu leichtfertigen Umgang mit dem technischen Fortschritt, mit Computerentwicklung und der Schöpfung von selbstständig denkenden und irgendwann einmal nicht mehr beherrschbaren KIs, in eine eindringliche, ja packende Handlung. Bestechend ist insbesondere seine Zeichnung der beiden menschlichen Hauptpersonen. Beide sind außergewöhnliche Persönlichkeiten, wurden durch ihre Herkunft und ihre Familien geprägt. Während Joker als sich durch seinen Rückzug vor Nähe und der Welt selbst schützender Einzelgänger portraitiert wird, hat Lujsja mit ihrer aus Russland stammenden Mutter, die nie so richtig in Deutschland angekommen ist, und ihrem Vater, der geschäftlich viel unterwegs ist, ihr eigenes Päckchen zu tragen. Die altesspezifischen Probleme werden, allerdings immer stimmig in die packende Geschichte verpackt thematisiert. Es geht um die Lösung vom Elternhaus, der Veränderung des Blicks auf die eigene Familie, aber natürlich auch um Schule, Lernen, Noten und nicht zuletzt um den Kampf mit den Hormonen. Die erste große Liebe wird angesprochen, der Frust mit der unerwiderten Zuneigung thematisiert und vor Ausnutzung durch skrupellose Beaus gewarnt. Das ist exakt auf die Zielgruppe zugeschnitten, jeder kann sich in einem Protagonisten wiederfinden, kann schauen, wie diese sich oftmals mühsam aus dem selbst verschuldeten Dschungel der Gefühle herauskämpfen, und sich ein Beispiel nehmen.

Verpackt wurde dies in eine zunächst unspektakuläre, dennoch aber den Leser packende Handlung. Das liest sich spannend und intensiv, fesselt nicht nur durch die vordergründige Handlung eines sich verselbstständigenden Computerprogramms sondern auch, ja insbesondere, durch die Schicksale, die uns vorgestellt werden und hält ein glaubwürdiges Happy-End für uns bereit.