Ange Guéro: Runde der Knechtschaft – Die Legende von Ayesha 1 (Buch)

Ange Guéro
Rune der Knechtschaft
Die Legende von Ayesha 1
(Ayesha. La Légende du Peuple turqouise, 2005)
Aus dem Französischen von Maike Claußnitzer
Titelgestaltung von HildenDesign: Isabelle Hirtz unter Verwendung eines Motivs con christopher nagy/Shutterstock
Penhaligon, 2010, Paperback, 396 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-7645-3033-4

Irene Salzmann

Vor vielen Generationen strömten Tausende von Flüchtlingen in die östlichen Königreiche: Menschen mit heller Haut, blondem Haar, blauen Auge und einem ebenfalls blauen Zeichen zwischen den Schulterblättern. Die Priester lasen in den Sternen, dass sich das Türkisvolk eines schweren Vergehens schuldig gemacht hatte, von den Göttern verlassen und mit der Rune der Knechtschaft versehen worden war. Seither dienen die Fremden als Sklaven und sind ganz der Willkür ihrer Herren ausgeliefert. Allein eine alte Prophezeiung gibt dem Türkisvolk Hoffnung: Eines Tages wird die wiedergeborene Göttin Ayesha ihre Anhänger aus der Knechtschaft befreien.

Auf einer diplomatischen Reise gerät Marikani, die angehende Königin von Harabec in eine Falle, kann jedoch mit ihrer Vertrauten Lionor fliehen. Die Galeere, auf der sie Zuflucht finden, wird von den Schiffen des Emirs versenkt, und die Frauen setzen zusammen mit zwei Galeerensträflingen an Land ihre Flucht fort. Während der Junge Min kein Ziel hat und sich den beiden willig anschließt, hilft Arekh ihnen nur widerwillig und plant, sich bei der nächsten günstigen Gelegenheit abzusetzen. Die Ereignisse zwingen die kleine Gruppe jedoch zusammenzubleiben. Auf Umwegen versuchen sie, sich nach Harabec durchzuschlagen, und mehr als nur einmal wären sie den Soldaten des Emirs beinahe in die Hände gefallen. Nach vielen gefährlichen Abenteuern erreichen sie schließlich das südliche Königreich, wo Marikani bereits für tot erklärt wurde und ihr Cousin Halios nach der Herrscherwürde strebt …

Ange Guéro steht für das Autorenehepaar Anne und Gérard Guéro, die man unter anderem als die Schöpfer der Comic-Serien „Die Legende der Drachenritter“, „Bloodline“ etc. kennt. Die „Ayesha“-Trilogie wurde zwar von Anne Guéro allein verfasst, doch ihr Mann unterstützte sie tatkräftig. Genauso wie die Comic-Geschichten ist auch der Roman sehr geradlinig erzählt. Er konzentriert sich auf die Hauptfiguren, insbesondere auf Arekh, aus dessen Sicht die Geschehnisse beschrieben und reflektiert werden, und wartet mit nur wenigen supportive characters auf und mit keinerlei Nebenschauplätzen oder Abschweifungen, die zu einem späteren Zeitpunkt von Bedeutung sein könnten. In Folge liest sich der erste Band fast wie ein Reisetagebuch, denn als Leser begleitet man die vier Flüchtlinge, die sich notgedrungen zusammenrauften, vom Untergang der Galeere bis zu ihrem Eintreffen in Harabec und nimmt dann auch an den anschließenden Intrigen als Beobachter teil. Natürlich verläuft die Reise nicht ohne Komplikationen, denn das Quartett wird verfolgt – von Soldaten, von Hexenhunden, abgerichteten Vögeln –, sie finden Helfer, die sich teilweise wieder zurückziehen, als sie merken, mit wem sie es zu tun haben, sie treffen auf wankelmütige Verbündete und bekommen es mit Verrat in den eigenen Reihen zu tun. Eigentlich ist nichts von dem, was der kleinen Gruppe widerfährt, wirklich spektakulär, und den Angreifern wird entweder mit dem Schwert, mit Diplomatie oder einem raffinierten Trick geantwortet. Dass Marikani der Thron streitig gemacht wird, stellt dann auch keine große Überraschung mehr dar. Ungewöhnlicher ist schon, wie sie mit allen Widrigkeiten und mit den beiden potentiellen Konkurrenten umgeht.

Das eigentlich Interessante an der Handlung ist die Interaktion der Figuren. Mit Ausnahme von Min, über den man nicht viel erfährt, haben sie alle Geheimnisse. Arekh, der frühzeitig ahnen lässt, dass er wohl ein Mörder, Attentäter und Spion ist, enthüllt seine Geschichte sehr spät, wodurch das Rätselhafte, das diesen widersprüchlichen Charakter umgab, leider verlorengeht und er als ‚Opfer der Umstände‘ gewissermaßen rein gewaschen wird. Woran Lionor schwer trägt, findet Arekh schnell heraus, was der jungen Frau nicht entgeht und sie in Sorge versetzt. Allerdings weiß er nicht so viel, wie sie vermutet. Die Ablehnung ist gegenseitig und gipfelt in einem Mordversuch, doch arbeiten beide zum Wohle Marikanis letztlich zusammen. Diese wartet am Schluss mit einer dicken Überraschung auf, die man so wahrscheinlich nicht hatte kommen sehen, aber es ergibt einen Sinn, denn die Andeutungen wurden unauffällig eingestreut, und man fragte sich ohnehin, was es mit dem Türkisvolk auf sich hat, das im ersten Band so gut wie gar nicht in Erscheinung tritt.

Die Geschichte plätschert ruhig dahin, selbst die Momente höchster Gefahr lassen den Spannungsbogen nur sanft ansteigen – und doch folgt man den Geschehnissen interessiert und blättert Seite um Seite, um zu erfahren, wie es weiter geht, wie die Konflikte gelöst werden, wie die nachvollziehbaren Protagonisten miteinander umgehen und Stück für Stück mehr von ihren Geheimnissen aufgedeckt wird.

„Die Rune der Knechtschaft“ ist ein Auftaktband, der auf unnötige Gewalt und reißerische Szenen verzichtet, dafür den Schwerpunkt auf die Beschreibungen des Hintergrunds und die Entwicklung der Charaktere legt. Am Ende haben die Beteiligten ihre Rollen erfüllt beziehungsweise ihre Plätze gefunden, und man muss auf den zweiten Band warten, um zu erfahren, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Schätzt man Heroic Fantasy, die ohne billige Action, Gemetzel und kitschiger Romantik auskommt und in der interessante Charaktere über lange Strecken hinweg ihre Geheimnisse bewahren können, so dass es ein wirklich überraschendes Finale – wenn auch kein echtes Ende – gibt, dann sollte man der „Ayesha“-Trilogie eine Chance geben.