100% Marvel 71: Darvedvil - Das Ende aller Tage (Comic)

Brian Michael Bendis, David Mack
100 % Marvel 71
Daredevil: Das Ende aller Tage
(Daredevil: End of Days 1- 8, 2012/2013)
Titelbild: Alex Maleev
Zeichnungen: Klaus Janson, David Mack, Bill Sienkiewicz, Alex Maleev
Panini, 2014, Paperback, 208 Seiten, 19,99 EUR

Rezension von Elmar Huber

Hell‘s Kitchen in einer nahen Zukunft: Daredevil ist tot. In einem zweistündigen Kampf wurde der Mann ohne Furcht buchstäblich von Bullseye totgeprügelt. Reporter Ben Urich vom ‚Daily Bugle‘ soll auf Anweisung seines Vorgesetzten eine Story über das Ereignis schreiben, über das die ganze Welt - dank der Möglichkeiten moderner Nachrichtenverbreitung - längst Bescheid weiß. Zunächst unwillig beginnt Urich zu recherchieren und stößt bald auf eine Reihe an Rätseln, von denen Bullseyes Selbstmord lediglich das erste unter vielen ist.

Eine Story, die mit dem Tod der Hauptfigur beginnt, kann entweder nur gründlich in die Hose gehen - oder sie sprengt, befreit von allen Zwängen und Ballast der einengenden Kontinuität und dem Gesetz der Serie, den starren Rahmen der Beständigkeit und wird zu etwas ganz und gar Außergewöhnlichem.

Letzteres ist bei „Das Ende aller Tage“ der Fall, dessen Ausgangspunkt von der Handlung von „Citizen Kane“ inspiriert wurde. Wie Charles Foster Kane in Orson Welles’ Pseudobiografie flüstert auch Matt Murdock mit seinem letzten Atemzug ein geheimnisvolles Wort: „Mapone“, das für Ben Urich zum Startpunkt seiner Recherchen wird. Mit dem Instinkt eines Reporters der alten Schule weiß er, dass er hier das Ende eines Fadens in der Hand hält, ungewiss jedoch, wohin ihn seine Suche führt.
 
In der Hoffnung, dass jemand aus Murdocks Vergangenheit die Bedeutung des Wortes kennt, beginnt Urich, ehemalige Gegner, frühere Verbündete und einstige Geliebte (einige in Personalunion) ‚abzuklappern‘. Entsprechend wimmelt es in dieser achtbändigen Mini-Serie von Gastauftritten. Unter anderem geben sich Nick Fury, Frank „Punisher“ Castle, Maya „Echo“ Lopez, Leland „Owl“ Owlsley und selbstverständlich „Elektra“ Natchios die Ehre. Dabei stößt Urich auch auf erstaunlich viele Kinder, die Matt Murdock nicht unerheblich ähnlich sehen.

Ungewollt erfährt er auch Einiges, was ‚seinen‘ Helden in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt. Und es dauert nicht lange, bis Urichs Ermittlungen diverse Alarmglocken klingeln lassen, was mehr oder weniger freundliche Treffen mit ehemaligen Wegbegleitern Daredevils zur Folge hat, die ganz und gar nicht an der Enthüllung ihrer Geheimnisse interessiert sind.

Und lässt man den Superheldenanstrich der Geschichte einmal außer Acht, steht Ben Urich hier in direkter Tradition der Ermittler unzähliger Hardboiled-Krimis und Hollywoods Schwarzer Serie.

So erfordert „Das Ende aller Tage“ auch nahezu keine Vorkenntnisse vom Leser. Doch selbst wenn die Geschichte für sich stehen kann, macht der Band natürlich mehr Spaß und sorgt für einige Aha-Momente, wenn man mit dem Daredevil-Umfeld einigermaßen vertraut ist.

Es ist alleine schon ein Geniestreich, Ben Urich, den Reporter, der einst Daredevils zivile Identität herausgefunden hat und der dem Teufel auch etwas schuldig ist (Daredevil rettete einst Urichs Sohn), zur Hauptfigur und damit zum Ermittler in Dardevils Vergangenheit zu machen (Urichs Gedanken sind übrigens ganz Reporter-like in Courier gesetzt).

Nicht ganz unerheblich für das Funktionieren dieser Geschichte ist außerdem die Tatsache, dass „Das Ende aller Tage“ von einer Riege der besten Daredevil-Autoren und -Zeichner realisiert wurde, die alles aus ihren Schreibmaschinen und Zeichenstiften geholt haben, um ‚ihrem‘ Helden damit eine ‚posthume‘ Ehre zu erweisen.

Als Hauptschreiber fungierte Star-Autor und Krimi-Fan Brian Michael Bendis („Torso“, „Powers“), der die reguläre „Daredevil“-Serie von 2001 bis 2006 verfasst hat. Ihm zur Seite stand als Co-Autor David Mack („Kabuki“), der grafisch auch die Rückblenden mit seiner unverwechselbar kunstvollen Collagen-Malereien gestaltet hat. Der Großteil der Geschichte, der in der erzählerischen Gegenwart spielt, wurde jedoch von Altmeister Klaus Janson illustriert (er zeichnete auch Frank Millers „Daredevil“-Strecke) und von Zeichner-Kollege Bill Sienkiewicz („Elektra“) getuscht. Sienkiewiczs fieberhafte Tuschung verstärkt dabei nochmals das ohnehin raue und kraftvolle Artwork von Janson.

Die Coverbilder sowie einige ganz- und halbseitige Illustrationen innerhalb der Story steuerte der Bulgare Alex Maleev („Sam & Twitch“) bei, der gemeinsam mit Bendis bereits an der fortlaufenden „Daredevil“–Serie gearbeitet hat. Gemeinsam haben die Herren hier ein starkes, düsteres und ungeschliffenes Highlight des Superhelden-Jahres 2013 geschaffen, das am Ende noch einen (genauer: zwei) Hoffnungsschimmer für die Zukunft von Hell’s Kitchen bereithält.

Vielleicht kein zweiter „The Dark Knight Returns“, doch „100% Marvel“ steht hier völlig zu Recht auf dem (deutschen) Cover.

Großartig düstere Story mit deutlichem Krimi-Touch. Reporter Ben Urich bewegt sich als Detektiv wider Willen durch den gefühlten Dauerregen New Yorks, um die Geheimnisse eines toten Freundes aufzudecken. Ein kleines, dreckiges Meisterwerk, in Szene gesetzt von der Crème de la Crème der Daredevil-Autoren und -Zeichner.