Stefan Cernohuby & Gerd Scherm (Hrsg.): Dampf über Europa (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 27. April 2018 08:15
Stefan Cernohuby & Gerd Scherm (Hrsg.)
Dampf über Europa
Titelbild: Georgie Retzer
Arcanum Fantasy Verlag, 2018, Paperback, 204 Seiten, 14,95 EUR, ISBN 978-3-940928-19-1
Rezension von Carsten Kuhr
Steampunk tut sich, da wird niemand widersprechen, in teutonischen Landen schwer. Das Spiel mit einer auf Dampf oder Aether beruhenden Technik in einer Gesellschaft, die der des beginnenden 20. Jahrhunderts entspricht, konnte sich trotz Einzelerfolgen bei uns nicht dauerhaft durchsetzen. Anders als im angloamerikanischen Sprachraum fand sich keine breite Leser-Gemeinde, die mit entsprechenden Käufen die Verlage zur weiteren Herausgabe entsprechende Bücher animierte. Selbst beste Reihen werden nicht fortgesetzt; wer hier die weiteren Bände lesen möchte muss sich auf seinen oderihren Englischunterricht berufen und zum Original greifen.
So ganz zutreffend ist meine Aussage allerdings nicht. Zwar haben sich die Großverlage vom Steampunk verabschiedet, in die dadurch entstandene Lücke stießen aber die Kleinverlage, die auch geringere Stückzahlen produzieren und vertreiben können.
Die neueste Anthologie der Geschichtenweber erschien in dem zum Verlag Saphir im Stahl gehörenden Arcanum Fantasy Verlag. Mit „Von Feuer und Dampf“ legten diese bei Arcanum schon einmal eine erfolgreiche Steampunk-Sammlung vor, nun also folgt ein zweiter Teil.
Laut dem Vorwort der Herausgeber wollen sie und die zehn im Band enthaltenen Autoren einen anderen Weg als gewohnt gehen. Ganz gewusst nutzen sie einen etwas anderen Beginn des Ersten Weltkriegs als Grundlage und verbindendes Glied der Geschichten. Darauf setzen sie ihre jeweiligen Beiträge auf, in denen sie sich weniger um Mode oder Moralvorstellungen der Wilhelminischen und Viktorianischen Ära kümmern, als dass sie die Schrecken des Krieges, die Mechanismen der Kriegstreiber und die Wirren und das Leiden der Menschen thematisieren.
Immer geht es natürlich auch um phantastische Erfindungen, im Mittelpunkt steht aber der von Skrupeln, Zweifeln und Verzweiflung geplagte Mensch.
In sich chronologisch geordnet erlebt der Leser mit, wie der Anschlag auf den K&K Thronfolger trotz gepanzerter Dampflimousine gelingt, wie Kriegstreiber und Kommissköpfe auf beiden Seiten der Konfliktparteien den drohenden Konflikt anfeuern um die Welt und ihr eigenes Glück neu zu ordnen.
Sei es, dass Erfinder, ganz gleich ob willfähig oder gegen ihren Willen, gezwungen werden, sich und ihr Genie in den Dienst des jeweiligen Reiches zu stellen, oder Erfindungen für ganz andere, finstere Zwecke genutzt werden, als wofür sie ersonnen wurden, ihre Schöpfer finden sich nur zu oft in einer moralischen Zwickmühle wieder. Oft versuchen sie selbst, ihre Schöpfungen zu sabotieren, um nicht unfreiwillig zu Massenmördern zu werden.
Dabei konzentrieren sich die Autoren auf Protagonisten aus dem Deutschen Reich und der Österreichisch-Ungarische Monarchie. Die laszive Tänzerin und Spionin Mata Hari findet hier ebenso ihren Platz wie Springheeled Jack, der in Wien sein Unwesen treibt, es geht um Menschen, denen künstliche, dampfbetriebene Gliedmaßen und Organe eingesetzt werden und um Schuld angesichts der Toten, der Morde und des Verlusts der Menschlichkeit. So entsteht nach und nach das Bild einer Welt, die uns bekannt und doch wieder neu vorkommt, die Vergangenes enthält, aber auch phantastische Erfindungen präsentiert.