Sergej Lukianenko: Quazi (Buch)

Sergej Lukianenko
Quazi
Übersetzung: Anja Freckmann
Heyne, 2017, Paperback, 400 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-453-31852-6 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Die Länder der ehemaligen Sowjetunion haben zweifellos einen großen Nachholbedarf an Geschichten mit Endzeit-Charakter, da diese Art „defätistischer” Literatur in der ehemaligen UdSSR natürlich verpönt und verboten war. So erklärt sich auch der ungeheure Erfolg von Dmitry Glukhovskis wunderbarem Roman „Metro 2033“ (abgesehen davon, dass es sich wirklich um eine fulminante und atmosphärisch dichte Geschichte handelt). Auf ähnliche Pfade begibt sich nun Sergej Lukianenko, der mit seiner Serie von den Wächtern (z. B. „Wächter der Nacht“) große Erfolge erzielte, der aber darüberhinaus auch einige grandiose SF-Romane geschrieben hat (hervorzuheben sicherlich „Spektrum“). Lukianenko schlachtet hier das aktuell angesagte Sujet der Zombie-Erzählungen nochmals voll aus.


In der nahen Zukunft hat ein noch immer nicht näher erforschtes Ereignis (keiner weiß, ob es sich um eine Krankheit oder etwas anderes handelt) dazu geführt, dass vor kurzem Verstorbene wieder lebendig wurden und sich auf die Menschen stürzten. Mit jedem Toten wächst der Haufen der Zombies (hier als „Wiederauferstandene” oder „Auferstandene” bezeichnet) bedrohlich an, was dazu führt, dass ländliche Zonen den Untoten überlassen werde müssen. In den größeren Städten einiger Länder (Russland, Deutschland, China und die USA) gelingt es jedoch den Menschen, die Oberhand zu behalten.

Dann tritt plötzlich ein neues Element in den Machtkampf ein, denn einige „Auferstandene” erlangen ihr Bewusstsein und ihre Intelligenz zurück und verbünden sich mehr oder weniger mit den Menschen. Sie können sogar die Zombies lenken, wenn es nur wenige sind. Diese intelligenten Untoten werden als Quazi bezeichnet.

Die Geschichte wird aus der Sicht des menschlichen Polizisten Denis Simonow erzählt, der einen Hass auf alle Zombies (Lukianenko vermeidet dieses Wort allerdings vollständig) hat, da die Auferstandenen dereinst seine Partnerin und das gemeinsame Kind töteten.

Nach dem mysteriösen Todesfall eines Bakteriologen (in den der Ermittler selbst involviert wird) wird Simonow ausgerechnet ein Quazi an die Seite gestellt, der mit ihm gemeinsam ermitteln soll. Schnell zeigt sich, dass der aktuelle Fall zum Geheimnis aller Quazi führt und auch zu Methoden, welche die Menschheit vielleicht für immer auslöschen können...


Lukianenko gelingt hier ein spannendes und gut erzähltes Gruselmärchen, welches zwar das „literarische Rad” nicht gerade neu erfindet, aber immerhin gut lesbar ist.

Einzelne peinliche Seitenhiebe sollte man dabei wohl nicht so ernst nehmen, da der Autor durchaus zu einer gewissen patriotisch-unkritischen Sichtweise neigt. Peinlicher Höhepunkt hiervon (und dankenswerterweise von der guten Übersetzerin nicht zensiert) ist Lukianenkos Bemerkung auf Seite 169 (oder ist es doch die Sichtweise seines Protagonisten? Eher nicht, scheint mir!): „Wir hatten hier [gemeint ist in Russland] eine echte Demokratie in dem Sinne, dass stets der Wille der Mehrheit umgesetzt wurde”. Leider verwechselt der Autor hier Demokratie (positive Ausrichtung nach einer freiheitlichen Ethik, Minderheitenschutz, religiöse, sexuelle Freiheiten, Bürgerrechte, keine ethnischen oder sonstigen Benachteiligungen etc.; staatliches Prinzip: wer sich und andere nicht gefährdet, darf sich frei entfalten!) und Ochlokratie (Diktatorische Mehrheitsherrschaft mit negativer Ausrichtung, Minderheiten werden brutal unterdrückt, egal ob sexuelle, ethnische oder religiöse Minderheiten, die Mehrheit verbietet zum Beispiel die freie Entfaltung homosexueller Lebensgemeinschaften; übrigens ein Punkt, der so nie wirklich in einem Volksentscheid beschlossen worden ist in Russland nach meinem Wissen!). Von „echter Demokratie” kann hier also keine Rede sein! Diese Aussage ist mithin schon nahezu beleidigend für alle, die sich etwas in Staatstheorien und -formen auskennen!

Immerhin macht der Autor diese Peinlichkeit fast wieder dadurch wett, dass er dem Leser das Werk seines längst verstorbenen russischen Schriftstellerkollegen Iwan A. Jefremov empfiehlt (ein Hinweis, dem der unerfahrene Leser ruhig nachgehen darf, wenn er sich für intelligente und meist gut geschriebene Geschichten interessiert).

Insgesamt ist der vorliegende Roman aber durchaus lesenswert, recht kurzweilig und unterhaltsam und hat den einen oder anderen cleveren Plot zu bieten.

Wer Lukianenkos Bücher mag oder wer Zombie-Geschichten generell schätzt, der darf hier ohne Bedenken zugreifen. Wer jedoch etwas wirklich Phantasievolles und Kreatives möchte, der sollte sich vielleicht anderen Büchern zuwenden, denn „Quazi“ ist packende „Gebrauchsliteratur“ zur Ablenkung, nicht mehr und nicht weniger, jedoch (auch gemessen an Lukianenkos eigenen Werken) wahrhaftig kein Meilenstein!