Alice im Wunderland (Comic)

Alice im Wunderland
(Alice au pays des merveilles)
Text: David Chauvel
Nach „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll
Zeichnungen: Xavier Collette
Übersetzung: Tanja Krämling
Lettering: Delia Wüllner-Schulz
Splitter, 2010, Hardcover, 80 Seiten, 15,80 EUR, ISBN 978-3-940864-11-6

Von Frank Drehmel

Rechtzeitig zum Start des spektakulären Tim-Burton-Films, „Alice im Wunderland“, veröffentlicht der Splitter Verlag eine Comic-Adaption von Lewis Carrolls klassischem Kinderbuch, das seit seinem Erscheinen im Jahre 1865 so viele Bearbeitungen, Übersetzungen und Adaptionen in nahezu jedem Bereich der „Schönen Künste“ erfahren hat, dass es kaum möglich ist, sie alle zu zählen.

Für die vorliegende moderne Comic-Umsetzung zeichnen der 1969 in Rennes geborene Szenarist David Chauvel sowie der 1981 geborene, multimedial arbeitende Grafiker und Illustrator Xavier Collette verantwortlich. In der Dramaturgie folgt der Autor eng der belletristischen Vorlage, wobei er allerdings die Geschichte insgesamt und gerade in den Dialogen spürbar strafft.

Auch wenn sich eine Inhaltsangabe eigentlich erübrigen sollte, da der Alice-Stoff jedem Leser dieser Rezension in der einen oder anderen Fassung begegnet sein dürfte, sei an dieser Stelle der Vollständigkeit halber das Grundthema kurz umrissen.

Alice verbringt gemeinsam mit ihrer älteren Schwester ein paar ruhige Momente in der freien Natur. Während die Schwester in ein Buch versunken ist, sieht das kleinere Mädchen ein weißes Kaninchen mit einer roten Jacke in einem Loch verschwinden. Neugierig folgt Alice diesem seltsamen Geschöpf und stürzt plötzlich in einem schier endlosen Fall in eine Parallelwelt; eine Welt in der sprechende Tiere, Phantasie-Geschöpfe und scheinbar verrückte Humanoide vor der despotischen Herrscherin dieser Welt – der Herz-Königin – in inniger Eintracht zittern, denn diese cholerische Dame hat die unschöne Angewohnheit, ihren Untertanen aus nichtigem Anlass den Kopf abschlagen zu lassen.

Nicht nur, das Alice gegen die Königin ein bizarres Krocket-Match spielen muss, sie soll auch als Zeugin in einem Prozess aussagen, in dem es um den Kopf des Herz-Buben und möglicherweise auch ihren eigenen geht.

Wer bei Alice an ein kleines Mädchen mit blonden Haaren und freundlichem Kleidchen denkt – so wie es die meisten Epigonen des Origininal-Illustrators, John Tenniel, regelmäßig realisieren –, muss sich zunächst mit Collettes künstlerischer Interpretation anfreunden. Seine Alice ist ein bleiches kleines Mädchen mit dunklen Augen und schwarzen Haaren, das nicht nur in seiner düsteren Kleidung „Emo“-mäßigen Chic ausstrahlt. Auch der lakonische, fast schon gelangweilte Habitus, der keine Freude, wohl aber Tränen kennt, hat etwas depressiv Melancholisches an sich, was diese Figur signifikant von ihren in der Regel lebendig, neugierig, quirlig gezeichneten Vorgängerinnen unterscheidet.

Dadurch, dass es der Figur am Staunen mangelt, reduziert sich aus der Sicht des Lesers – verglichen mit der Roman-Vorlage – der Wahnsinn innerhalb der Geschichte, geht ein kleines Stück Sense of Wonder, an Zauberhaftigkeit, verloren. Auf der anderen Seite erfahren durch die Reduktion, die Banalisierung der Äußerlichkeiten die scheinbar sinnentleerten, fast schon dadaistischen Dialoge und Wortspiele an Bedeutung und regen zur Auseinandersetzung, zur Sinnsuche an.

Collettes visuell unaufgeregtes Artwork erweist sich insgesamt als dekorativ und gefällig: in seinem malerischen, weichen Ansatz, in dem die Konturen der Bildelemente allenfalls durch helle Linien betont werden bedient er sich über das gesamte Album hinweg einer sehr umfangreichen, überwiegend pastellenen Farbpalette, wobei wiederum die einzelnen Seiten – bis auf wenige Ausnahmen – Ton in Ton gehalten sind.

Fazit: Die visuell düstere, inhaltlich jedoch relativ werktreue Adaption eines der größten Kinderbuch-Klassiker der Literatur-Geschichte. Für Leser, die Spaß an Skurrilität haben, uneingeschränkt empfehlenswert.