Bill Willingham: Peter & Max - Ein Fables-Roman (Buch)

Bill Willingham
Peter & Max - Ein Fables-Roman
(Peter & Max - A Fables Novel, 2009)
Übersetzung: Timothy Stahl
Titelbild: Don Santos
Zeichnungen und Comic im Innenteil: Steve Leialoha
Panini, 2016, Paperback mit Klappenbroschur, 352 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-8322-3356-2 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Die Fables sind vor dem schrecklichen Feind in die Welt der Normalos geflüchtet. Bevor der Kampf gegen ihn eskaliert, ereignet sich die vorliegende Geschichte.

 

Die Familien Piper und Peep sind sich von Herzen zugetan. Wann immer die Musiker in der Gegend sind, schlagen sie bei den Freunden ihr Lager auf. Insbesondere die beiden Jüngsten, Peter Piper und Bo Peep, knüpfen starke, liebevolle Bande. Diese werden jäh zerstört, als die Armeen des Feindes in das Land eindringen und das bisherige Leben ein Ende nimmt. Kollaborieren oder sterben - eine andere Wahl gibt es nicht. Die Pipers und Peeps beschließen, nach Hameln zu fliehen, hoffend, dass dort dem Feind Widerstand geleistet wird und sie in Sicherheit sind.

Aber es kommt anders, und daran ist auch Max Piper, der ältere Bruder von Peter, schuld, denn er neidet diesem den Familienschatz, die Flöte ‚Frost‘, die der Vater dem begabteren der Söhne überantwortet hatte. Um sie in seinen Besitz zu bringen, gibt Max jegliche Skrupel auf.

Jahrhunderte später ist sein Groll nicht geringer geworden, und er sucht erneut die Konfrontation mit Peter, um ‚Frost‘ an sich zu bringen und sich an dem Bruder zu rächen. Peter weiß, dass er der Macht von Max und seiner Flöte ‚Feuer‘ nichts entgegenzusetzen hat, dennoch will er die ‚Familienangelegenheit‘ ohne die Hilfe anderer Fables regeln…


„Peter & Max“ ist der erste „Fables“-Roman, der in Deutschland erscheint. Geschrieben wurde er vom Schöpfer der Comic-Serie, Bill Winningham. Es handelt sich um einen in sich abgeschlossenen Band, der chronologisch in der Frühzeit der Reihe angesiedelt ist, bevor es zum entscheidenden Kampf gegen den Feind kommt, vor dem die Fables aus ihren Welten in die der Normalos flohen, wo sie seither unerkannt leben.

Wer die Comics nicht kennt, wird keinerlei Verständnisprobleme haben, denn die ‚in der Realität existierende Welt der Fables‘ wird (langwierig) erklärt, obwohl es kaum Berührungen mit Figuren gibt, die der treue Leser aus den Heften kennt, d. h., der Aha-Effekt fällt recht bescheiden aus.

Im Mittelpunkt steht die Sage des „Rattenfängers von Hameln“, die durch den „Fables“-Kontext eine etwas andere, komplexere Lesart erhält, auch bedingt dadurch, dass die Variationen einer Märchenfigur zusammengefasst und in den Heften modernisiert wurden. In der Sage befreit der „Rattenfänger“ Hameln von der Plage und wird um seinen Lohn betrogen, wofür er sich rächt. In der Geschichte passiert dasselbe, aber der Täter erhält ein Motiv, das über reine Hilfsbereitschaft hinausgeht, und die Rache hat noch viel tiefere Beweggründe.

Peter und Max erweisen sich als die beiden Hälften einer Münze, aber es wäre zu einfach, den einen als gut, den anderen als böse zu bezeichnen. Beide sind talentiert, aber während der eine sich an die Regeln halten und das Richtige tun will, dabei, um zu überleben, gewissermaßen auf ‚die schiefe Bahn‘ gerät, möchte der andere ein strahlender Held sein, bricht jedoch mit den Regeln und wird zum Ungeheuer. Der eine sucht den Ausweg, der andere hält an seinem Streben fest, und ihr Aufeinandertreffen kann nur ein fatales Ende nehmen.

Genau das ist sehr schön beschrieben: die inneren Konflikte von Peter, der vieles gar nicht versteht, was seinem Alter geschuldet ist, und die von Max, die sehr viel konkreter sind, da seine Triebfedern Eifersucht, Neid, Rache und Hass heißen. Beide nehmen Vieles auf sich, um zu entkommen beziehungsweise sich zu rächen, und immer wieder sind Außenstehende die Opfer. Diese Entwicklung wird in Rückblenden beschrieben, die von verhältnismäßig kurzen Gegenwartsszenarien unterbrochen werden, immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert. Von der Gewichtung her liegt der Fokus auf der Vergangenheit, und der Endkampf wird zur logischen Folge aus all dem, was einst war.

Bill Willingham nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Seine Erzählung liest sich brutal und derb, brutaler und derber als seine Comics, die auch nicht gerade harmlos sind. Manche harte Szene hätte man gewiss auch etwas anders beschreiben können, aber offenbar wollte er das märchenhaft ‚Weichgespülte‘ um jeden Preis vermeiden.

Seine Schilderung von Deutschland und Hameln mögen amerikanische Leser, welche die Stichworte (Oktoberfest, Autobahn ohne Tempolimit und so weiter) schlicht aufgreifen und keine näheren Kenntnisse besitzen, als ‚typisch deutsch‘ erachten, doch das deutsche Publikum wird einmal mehr amüsiert den Kopf schütteln über die Unwissenheit der Amerikaner - kein Novum, liest man US-Comics im Original, in denen hin und wieder Episoden in Deutschland spielen oder Deutsche involviert sind (unter anderem „X-Men“).

Der Roman wurde von Panini als Paperback mit Klappenbroschur publiziert. Das Cover stammt von Dos Santos, die Innenn-Illustrationen steuerte Steve Leialoha („Uncanny X-Men“, „Marvel Team-Up“ etc.) bei.

Man kann den Band problemlos lesen, ohne jemals von den Fables gehört zu haben, was ein dickes Plus ist. Für Kenner gibt es bloß wenige Aha-Momente, was jedoch niemanden stören dürfte. Die Story ist anfangs etwas langatmig, steigert sich dann jedoch, wobei die kurzen Gegenwartseinschübe für Ruhe sorgen zwischen den abenteuerlichen Vergangenheitsausführungen, bis es zum Höhepunkt kommt. Die Figuren entwickeln sich sehr deutlich weiter und bewegen sich überwiegend in einer Grauzone.

Unterstützt wird die Story von den schönen, passenden, teilweise holzschnittartigen, dann eher jugendstilhaften Illustrationen von Steve Leialoha, welche die Handlung begleiten, teils in Vignettengröße, seltener zwei Seiten einnehmend.

Den Schlusspunkt setzt ein sehr kurzer Comic, ebenfalls von Steve Leialoha, der schildert, was nur wenig später passiert: wie Peter und Bo am Kampf gegen den Feind teilhaben, eine Auseinandersetzung, die nicht in jedem Detail im Comic wiedergegeben wird. Da das Paperback kleiner ist als das US-Comic-Format, ist die Schrift der Textblasen leider winzig und schwer zu entziffern.

Alles in allem ist „Peter & Max“ eine kurzweilige Lektüre, die keine Vorkenntnisse verlangt und durch die vielen Innenillustrationen, welche den Charakteren ein Gesicht geben, gefällt. Als Ergänzung zu den Comics sehr schön, und umgekehrt mag die Lektüre den einen oder anderen auf die „Fables“-Comics und ihre Spin-offs aufmerksam machen.